Flüstern in der Nacht
was sie mit ihrem eigenen Vater getrieben hatte ... Nun, ich denke, das war nach all dem anderen Unglück zuviel für sie. Sie zerbrach daran. Drei Tage lang benahm sie sich wie im Fieberdelirium, plapperte wirres Zeug wie eine Verrückte. Der Arzt gab ihr Beruhigungsmittel, aber die wirkten nicht immer. Sie tobte, schrie und jammerte dann wieder, so daß ich glaubte, ich müßte die Bullen rufen, damit sie sie in eine Gummizelle steckten. Aber das wollte ich nicht tun. Um keinen Preis wollte ich das.« »Aber sie brauchte doch psychiatrische Hilfe«, meinte Hilary. »Sie drei Tage lang einfach schreien und toben zu lassen, das mußte doch Folgen nach sich ziehen.«
»Vielleicht nicht«, antwortete Mrs. Yancy. »Aber mir blieb keine andere Möglichkeit. Ich meine, wenn man ein Nobelbordell führt, will man ja schließlich die Bullen nicht um sich scharen, höchstens dann, wenn man ihnen Schmiergeld bezahlt. Gewöhnlich belästigen die ja ein Klasseetablissement wie das, das ich führte, nicht. Schließlich gehörten einflußreiche Politiker und reiche Geschäftsleute zu meinen Kunden, und die Bullen wollten mit solchen Bonzen keinen Ärger. Hätte ich Katherine in ein Krankenhaus geschickt, so hätten die Zeitungen die Geschichte mit ziemlicher Sicherheit aufgegriffen, und dann wäre den Bullen nichts anderes übriggeblieben, als mein Haus zu schließen. Nach all der Negativ-Publicity könnten sie mich schlecht im Geschäft lassen. Unmöglich. Ich hätte alles verloren. Und mein Arzt hatte Angst, seine ›anständigen‹ Patienten könnten erfahren, daß er insgeheim Prostituierte behandelte. Damals hätte es einer Arztpraxis nicht geschadet, wäre herausgekommen, daß man mit denselben Instrumenten seiner Praxis auch Vasektomien an Alligatoren durchführte, aber dafür schienen die Leute 1940 in anderen Dingen ... nun ... sagen wir ... zimperlich. Sie sehen also, ich mußte an mich denken, meinen Arzt schützen, meine Mädchen ...«
Joshua ging auf den Sessel zu, in dem die alte Frau saß. Er blickte auf sie hinab, starrte auf ihr einfaches Kleid, die Schürze, die dunkelbraunen Stützstrümpfe, die klobigen schwarzen Schuhe und die seidenweiße Katze und versuchte, hinter diesem Bild großmütterlicher Wohlanständigkeit die Frau zu erkennen. »Als Sie die dreitausend Dollar von Katherine nahmen, haben Sie da nicht auch eine gewisse Verantwortung für sie übernommen?«
»Ich hab sie schließlich nicht darum gebeten, zu mir zu kommen und ihr Baby bei mir zur Welt zu bringen«, entgegnete Mrs. Yancy. »Mein Geschäft war mehr als dreitausend Dollar wert. Das wollte ich nicht einfach bloß wegen des Prinzips wegwerfen. Meinen Sie, ich hätte das tun sollen?« Sie schüttelte bezweifelnd den Kopf. »Sollten Sie wirklich die Meinung vertreten, das sei angebracht gewesen, dann leben Sie in einer Traumwelt, mein lieber Herr.« Joshua starrte die Frau an und brachte kein Wort hervor, aus Sorge, er könnte sie anbrüllen. Aber er wollte nicht, daß sie ihn aus dem Haus wies, ehe er nicht ganz sicher alles, was sie über Katherine Anne Fryes Schwangerschaft und die Zwillinge wußte, erfahren hätte. Zwillinge!
»Schauen Sie, Miss Yancy«, meldete sich Tony zu Wort, »kurz nachdem Sie Katherine aufgenommen hatten und herausfanden, daß sie sich mit Korsetten geschnürt hatte, wußten Sie, daß sie das Baby wahrscheinlich verlieren würde. Sie haben ja selbst behauptet, der Arzt sei dieser Meinung gewesen.« »Ja.«
»Er hat Ihnen auch gesagt, daß Katherine sterben könnte.« »Und?«
»Der Tod eines neugeborenen Kindes oder der Tod einer schwangeren Frau nach den Geburtswehen – so etwas hätte doch ebenso schnell zur Schließung Ihres Bordell geführt, wie das Rufen der Bullen, um sich einer Frau zu widmen, die einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Und doch haben Sie Katherine nicht abgewiesen, als noch Gelegenheit bestand. Selbst als Sie wußten, daß es sich um eine recht riskante Sache handelte, haben Sie die dreitausend Dollar behalten und sie aufgenommen. Es muß Ihnen doch klar gewesen sein, daß Sie bei einem Todesfall der Polizei hätten Meldung machen müssen. Damit riskierten Sie doch auch die eventuelle Schließung Ihres Ladens.« »Kein Problem«, erwiderte Mrs. Yancy. »Wären die Babys gestorben, hätten wir sie in einem Koffer weggeschafft und in aller Stille in den Bergen oberhalb von Marin County begraben. Vielleicht hätten wir den Koffer auch beschwert und von der Golden-Gate-Brücke
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