Flüstern in der Nacht
Männlein wie Weiblein in einer Zeit, in der traditionelle Treffpunkte – Kirchenveranstaltungen, Picknicks, Clubs und Tanzveranstaltungen – tatsächlich (und soziologisch) von Bulldozern eingeebnet wurden, um Bürowolkenkratzern, hochragenden Apartmentgebäuden aus Beton und Glas, Pizzerien und fünfstöckigen Garagenhochhäusern Platz zu machen. In der Single-Bar begegnete der junge Mann aus dem Raumfahrtzeitalter den jungen Mädchen des Raumfahrtzeitalters, kamen sich Machos und Nymphomaninnen näher, lernte die scheue kleine Sekretärin aus Catsworth den linkischen Computerprogrammierer aus Burbank kennen; und manchmal fanden auch Frauenschänder dort ihre Opfer.
In Anthony Clemenzas Augen zeigten die Gäste im Paradise Verhaltensmuster, die das Lokal identifizierten. Die schönsten Frauen und die bestaussehendsten Männer saßen sehr steif auf Barhockern oder an winzigen Cocktailtischchen, hielten die Beine in geometrischer Perfektion übereinandergeschlagen und die Ellbogen ein wenig angewinkelt. Das Ganze lief darauf hinaus, die klaren Linien ihrer Gesichter und ihre kräftigen Gliedmaßen zur Schau zu stellen; sie erzeugten elegant rechtwinkelige Muster, während sie einander beobachteten und umschwärmten. Die körperlich weniger Attraktiven – also nicht die absolute Creme de la Creme, aber deswegen nicht weniger reizvoll und begehrenswert – neigten dazu, beim Sitzen oder Stehen nicht die Idealhaltung einzunehmen, bemühten sich aber, ihr angeblich fehlendes interessantes Äußeres durch Haltung und Image aufzupolieren. Ihr Auftreten galt als Aussage: Ich fühle mich hier wohl, bin entspannt, lasse mich von diesen großartig aussehenden jungen Männern und Frauen nicht beeindrucken, bin selbstbewußt, bin eben ich. Diese Gruppe tendierte dazu, auf elegante Art herumzulungern und herumzulümmeln, und nutzte die dem Auge angenehmen, gerundeten Linien des ruhenden Körpers, um damit leichte Unregelmäßigkeiten in Knochenbau und Körperform auszugleichen. Die dritte, größte Menschenansammlung in der Bar bestand aus nichtssagenden Typen, weder schön noch häßlich. Diese Gruppe zeigte irgendwie ängstlich wirkende Muster, zwängte sich in Ecken, huschte von Tisch zu Tisch, stellte hier und da ein übertriebenes Lächeln zur Schau oder wechselte hastig und nervös ein paar Worte – das Ganze von der Sorge erfüllt, daß keiner sie lieben könnte.
Traurigkeit herrschte als Grundmuster im Paradise vor, dachte Tony Clemenza, dunkle Streifen unerfüllter Bedürfnisse, ein kariertes Bett der Einsamkeit, stille Verzweiflung in buntem Fischgrat.
Aber er und Frank Howard waren nicht hier, um bei Sonnenuntergang Muster oder Gäste zu studieren. Sie wollten vielmehr einen Hinweis auf Bobby »Angel« Valdez erhalten. Im April war Bobby Valdez aus dem Zuchthaus entlassen worden, nachdem er sieben Jahre und einige Monate seiner ursprünglich auf fünfzehn Jahre angesetzten Strafe wegen Vergewaltigung und Totschlag verbüßt hatte. Allem Anschein nach war diese frühzeitige Entlassung ein großer Fehler gewesen.
Vor acht Jahren vergewaltigte Bobby mindestens drei, höchstens aber sechzehn Frauen in Los Angeles. Drei Delikte konnte die Polizei beweisen; in bezug auf die anderen existierten nur Verdachtsmomente. Eines Abends hatte Bobby eine Frau auf einem Parkplatz angesprochen und sie mir vorgehaltener Waffe gezwungen, in seinen Wagen zu steigen, hatte sich dann mit ihr auf eine kaum befahrene Schotterstraße hoch oben in den Hügeln von Hollywood begeben, ihr die Kleider heruntergerissen, sie mehrere Male vergewaltigt, sie dann aus dem Wagen gestoßen und anschließend die Flucht ergriffen. Sein Auto stand damals am Straßenrand dicht über einem steilen Abgrund geparkt. Die nackte Frau war durch den Stoß aus dem Wagen aus dem Gleichgewicht geraten, in den Abgrund gestürzt und unten auf einem verrotteten Zaun aus rissigen Holzpfosten mit verrostetem Draht, Stacheldraht, gelandet. Der Stacheldraht brachte ihr üble Rißwunden bei; und ein zackiges, zehn Zentimeter breites Stück des verwitterten Holzzaunes, das sich durch ihren Leib bohrte, hatte sie letztendlich aufgespießt. Unerklärlicherweise bekam sie in Bobbys Wagen den Durchschlag einer Union-76-Kreditkartenquittung in die Hand und begriff, trotz ihres Schocks, was das Papier aufdecken könnte. Deshalb hielt sie es die ganze Zeit über krampfhaft fest, auch noch während des Sturzes in den Tod. Außerdem konnte die Polizei in Erfahrung bringen, daß
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