Flüstern in der Nacht
Sie gefragt, was als nächstes ansteht.« Er versuchte, wieder die Oberhand zu gewinnen; das gefiel ihr gar nicht. Andererseits – was machte es eigentlich für einen Unterschied, ob er saß oder lag? Selbst im Sitzen konnte er nicht so schnell aufstehen und den Abstand zwischen ihnen überbrücken, daß sie ihm nicht wenigstens ein paar Kugeln in den Leib jagen würde.
»Okay«, meinte sie widerwillig. »Meinetwegen setzen Sie sich auf. Aber eine falsche Bewegung, und ich feuere das ganze Magazin auf Sie ab. Ich schwör's.« Er grinste und nickte dann.
Fröstelnd fuhr sie fort: »Ich gehe jetzt zum Bett, werde mich setzen und die Polizei anrufen.«
Sie schob sich seitwärts und zugleich rückwärts auf das Bett zu, wie ein Krebs, Schritt für Schritt, bis sie die Bettkante erreichte. Das Telefon stand auf dem Nachttisch. Sobald sie sich hinsetzte und den Hörer abnahm, wurde Frye ungehorsam. Er stand auf. »He!«
Sie ließ den Hörer fallen und nahm augenblicklich die Pistole wieder in beide Hände, bemüht, die Waffe ruhig zu halten. Er streckte besänftigend die Hände aus, die Handflächen auf sie gerichtet. »Warten Sie. Nur eine Sekunde. Ich rühr' Sie nicht an.«
»Sie sollen sich hinsetzen.« »Ich komm nicht in Ihre Nähe.«
»Sie setzen sich jetzt genau dorthin, wo Sie sich gerade befinden.«
»Ich werde jetzt gehen«, erwiderte Frye. »Den Teufel werden Sie.«
»Ich werde dieses Zimmer und dieses Haus verlassen.« »Nein.«
»Sie werden nicht versuchen, mich niederzuschießen, wenn ich einfach weggehe.«
»Probieren Sie's doch aus, es wird Ihnen leidtun.« »Sie schießen nicht«, meinte er zuversichtlich. »Sie sind nicht der Typ, der abdrückt, solange Ihnen eine andere Möglichkeit bleibt. Sie brächten es nicht fertig, mich kaltblütig zu töten. Sie können mich nicht einfach hinterrücks niederschießen. Niemals. Nicht Sie. Die Kraft haben Sie nicht. Sie sind schwach. Verdammt schwach.« Wieder dieses unheimliche Grinsen, dieses Totenschädelgrinsen. Und dann machte er einen weiteren Schritt in Richtung Tür. »Sie können die Bullen ja anrufen, wenn ich weg bin.« Wieder ein Schritt. »Bei einem Fremden wäre das anders. Dann hätte ich vielleicht eine Chance, damit durchzukommen. Aber Sie können denen ja erzählen, wer ich bin.« Ein weiterer Schritt. »Sehen Sie, Sie haben ja schon gewonnen, und ich hab' verloren. Ich brauch' nur ein wenig Zeit. Ein ganz klein wenig Zeit.«
Sie wußte, daß er sie richtig einschätzte. Sie würde ihn töten, wenn er sie angriff, aber sie war nicht fähig, ihn auf seinem Rückzug zu erschießen.
Frye schien zu spüren, daß sie ihm, ohne es auszusprechen, recht gab; er wandte ihr den Rücken zu. Sein selbstgefälliges Wesen machte sie rasend, aber sie schaffte es nicht, den Abzug zu betätigen. Er schob sich vorsichtig seitwärts zum Ausgang, ging dann einfach hinaus und fand es nicht einmal der Mühe wert, sich nochmals umzusehen. Er verschwand durch die eingetretene Tür; seine Schritte hallten durch den Korridor.
Hilary hörte ihn die Treppe hinunterpoltern, und dabei wurde ihr klar, daß er das Haus vielleicht nicht verlassen würde. Er könnte unbeobachtet in irgendein Zimmer im Untergeschoß schleichen und sich dort im Wandschrank verstecken, geduldig warten, bis die Polizei erschienen und wieder weggefahren war, und dann aus seinem Versteck schlüpfen und sie erneut überfallen. Sie hastete zur Treppe, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie er rechts abbog und in den Vorraum stapfte. Im nächsten Augenblick hörte sie die Klinke. Er ging hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Sie rannte dreiviertel die Treppe hinunter, da wurde ihr plötzlich klar, daß er vielleicht nur so getan haben könnte, als würde er gehen. Vielleicht hatte er die Tür zugeknallt, ohne hinauszugehen. Vielleicht wartete er im Vorraum auf sie. Hilary hielt noch immer die Pistole in der Hand, die Mündung zu Boden gerichtet, hob sie jetzt aber besorgt wieder. Sie schlich noch ein paar Stufen weiter, blieb einige Augenblicke auf dem Treppenabsatz stehen und lauschte. Dann ging sie munter weiter, bis sie den Vorraum überblicken konnte. Leer. Die Tür des Wandschranks stand offen. Auch dort war Frye nicht. Er schien wirklich gegangen zu sein. Sie schloß die Tür des Wandschranks.
Dann ging sie zur Wohnungstür, sperrte sie zweimal ab und legte die Riegel vor.
Schwankend bewegte sie sich durchs Wohnzimmer in ihr Arbeitszimmer; es roch nach Möbelpolitur, etwas nach
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