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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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aber sie ergibt durchaus einen Sinn, und das ist ein großer Fortschritt. Also brachte Katherine die Zwillinge zur Welt, verlor drei Tage die Kontrolle über sich und fand sie dann wieder, indem sie sich eine neue Phantasiewelt, eine neue Wahnvorstellung aufbaute. Sie glaubte also, ein Dämon hätte sie vergewaltigt, und konnte damit vergessen, daß es in Wirklichkeit ihr Vater gewesen war. Sie konnte den Inzest vergessen und wenigstens einen Teil ihres Selbstwertgefühls zurückgewinnen. Tatsächlich hat sie sich wahrscheinlich in ihrem ganzen bisherigen Leben nicht besser gefühlt.« »Genau«, nickte Tony.
    »Mrs. Yancy war der einzige Mensch, dem sie jemals diesen Inzest anvertraute«, meinte Hilary. »Nun in dieser neuen Phantasiewelt lebend, drängte es Katherine natürlich danach, Mrs. Yancy von der ›Wahrheit‹ zu überzeugen. Es beunruhigte sie, daß Mrs. Yancy in ihr eine schreckliche Person, eine Sünderin sah; sie wollte also Mrs. Yancy klarmachen, daß sie das Opfer eines unwiderstehlichen übernatürlichen Monstrums wurde. Deshalb war sie so hartnäckig.«
    »Aber da Mrs. Yancy ihr nicht glaubte«, meinte Tony, »beschloß sie, die Geschichte für sich zu behalten. Sie erwartete auch nicht, daß ihr sonst jemand glauben würde, aber das erschien ihr nicht so wichtig, weil sie selbst felsenfest von dieser neuen Wahrheit überzeugt war. Ein solches Geheimnis konnte sie viel leichter bewahren als das andere, das mit Leo.« »Und Leo war ein paar Wochen zuvor gestorben«, ergänzte Hilary, »also konnte auch er sie nicht an das erinnern, was sie vergessen wollte.«
    Joshua nahm einen Augenblick lang beide Hände vom Steuer und wischte sie sich am Hemd ab. »Ich dachte immer, ich sei schon zu alt und zu zynisch, um auf eine Horrorgeschichte zu reagieren. Aber jetzt habe ich richtig feuchte Hände bekommen. Leo war also nicht mehr da, um sie zu erinnern – aber sie brauchte beide Kinder, um ihre neue Wahnvorstellung zu stützen. Sie bildeten den lebenden Beweis dafür; deshalb konnte sie keinen zur Adoption freigeben.«
    »Das ist richtig«, meinte Tony. »Sie behielt beide bei sich und die Kinder halfen ihr dabei, ihr Hirngespinst am Leben zu erhalten. Betrachtete sie diese zwei völlig gesunden, unzweifelhaft menschlichen Babys, so bemerkte sie wirklich etwas an ihren Geschlechtsorganen, eine Veränderung, so wie Mrs. Yancy es geschildert hatte. Sie sah es aufgrund ihres Wahnvorstellungsvermögens, bildete sich etwas ein, den Beweis dafür, daß es sich um die Kinder eines Dämons handelte. Die Zwillinge bildeten einen Teil ihrer bequemen neuen Wahnvorstellung – und ich sage ›bequem‹ nur im Vergleich zu den Alpträumen, mit denen sie vorher leben mußte.«
    Hilarys Gedanken drehten sich jetzt schneller als der Propeller des Flugzeugs. Ihre Erregung wuchs, denn ihr wurde klar, wohin Tonys Spekulationen führen würden. »Katherine hat also die Zwillinge mit nach Hause genommen, in jenes Haus auf der Klippe«, fügte sie hinzu, »aber diese Mary-Günther-Lüge mußte sie immer noch aufrechterhalten, nicht wahr? Sicher. Zum einen wollte sie ihren Ruf schützen. Doch es gab noch einen weiteren Grund, der viel wichtiger schien als ihr Leumund. Eine Psychose wurzelt im Unterbewußtsein, aber soweit mir bekannt ist, entspringen die Phantasievorstellungen, die ein Psychopath dazu benutzt, mit seinem inneren Aufruhr fertigzuwerden, mehr aus einem verstandesmäßigen Bewußtsein. Und deshalb ... glaubte Katherine zwar bewußt an den Dämon ... spürte aber gleichzeitig tief in ihrem Unterbewußtsein, daß ihre Nachbarn am Ende Leo als Vater erkennen würden, wenn sie mit Zwillingen nach St. Helena zurückkäme und die Mary-Günther-Geschichte aufgäbe. Und in diesem Fall würden an die Stelle ihrer neuen, bequemeren Wahn vorstellungen wieder die alten treten. Um daher das Hirngespinst des Dämons in ihrem eigenen Bewußtsein halten zu können, durfte sie der Öffentlichkeit nur ein Kind zeigen. Also gab sie beiden Kindern nur einen Namen. Sie ließ immer nur einen an die Öffentlichkeit, und zwang sie, ein Leben zu leben.« »Und am Ende«, ergänzte Tony, »kam es so weit, daß die zwei Männer sich für ein und dieselbe Person hielten.« »Halt, halt!« fiel Joshua dazwischen. »Es mag ja sein, daß sie sich gegenseitig als eine Person ausgaben und nur unter einem Namen und einer Identität in der Öffentlichkeit auftraten. Selbst das zu glauben, fällt mir schwer, aber ich will es versuchen. Aber allein

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