Flüstern in der Nacht
widerwärtigen Gestanks und erkannte in diesem Augenblick, daß er nichts sehen konnte und die Kerzen und Streichhölzer zwischen all den anderen Dosen und Behältern nicht würde finden können, wirbelte wieder herum, hastete wieder in die Küche hinaus, schrie, hieb um sich, wischte die krabbelnden Dinger von seinem Gesicht, da sie ihm wieder in Mund und Nase dringen wollten, fand die Tür nach draußen, fummelte an der Klinke herum, brachte sie schließlich auf und stieß die Tür auf. Licht.
Graues Nachmittagslicht, das im Westen von den Mayacamas-Bergen herableuchtete, strömte durch die offene Tür herein und erhellte die Küche. Licht.
Eine Weile stand er unter der offenen Tür und badete sich in dem herrlichen Licht. Er war über und über schweißbedeckt, und sein Atem ging schwer und keuchend. Nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, kehrte er in die Speisekammer zurück. Der Übelkeit erregende Gestank kam von alten Dosen und Gläsern mit Lebensmitteln, die aufgequollen und explodiert waren und deren verdorbener Inhalt jetzt schwarzgrünem Schimmel und Pilzen Nahrung bot. Er bemühte sich, das widerwärtige Zeug nicht zu berühren, entdeckte die Kerzen und die Dose mit den Streichhölzern.
Die Streichhölzer schienen noch trocken und brauchbar. Er riß eines an, um ganz sicherzugehen. Die emporschießende Flamme ließ sein Herz höherschlagen.
Westlich, ein paar tausend Fuß unter der nach Norden dröhnenden Cessna, auf vielleicht sieben- oder achttausend Fuß, rückten beständig Sturmwolken vom Pazifik heran. »Aber wie?« fragte Joshua erneut. »Wie hat Katherine die Zwillinge dazu gebracht, wie eine Person zu denken und zu handeln, eine Person zu sein?«
»Wie ich schon sagte«, erklärte Hilary, »genau werden wir es wahrscheinlich nie erfahren. Aber zunächst einmal scheint mir, daß sie ihre Wahnvorstellungen praktisch vom ersten Tag an unter dem gemeinsamen Dach mit den Zwillingen teilte, lange bevor sie alt genug waren, um zu verstehen, was sie sagte. Sie muß ihnen hundert- und aberhundertmal, vielleicht sogar tausendmal im Lauf der Jahre eingebläut haben, daß sie die Söhne eines Dämons seien. Sie erzählte ihnen von den Glückshauben und erklärte ihnen, was das bedeutete. Sie sagte ihnen auch, ihre Geschlechtsorgane wären nicht so wie die anderer Kinder. Wahrscheinlich hat sie ihnen gedroht, daß man sie umbringen würde, wenn andere Leute herausfänden, woher sie kämen. In einem Alter, in dem sie all die Dinge in Frage stellen könnten, hatten sie höchstwahrscheinlich eine so gründliche Gehirnwäsche hinter sich, daß sie überhaupt nicht imstande waren, an den Aussagen ihrer Mutter zu zweifeln. Bis dahin teilten sie ganz bestimmt bereits ihre Psychose und ihre Wahnvorstellungen. Es müssen zwei außergewöhnlich verkrampfte kleine Jungs gewesen sein, voll Angst, entdeckt und dann getötet zu werden. Angst bedeutet Streß. Mir scheint, daß eine so ungeheure, gnadenlose, außergewöhnliche Belastung über einen langen Zeitraum hinweg genau die richtige Atmosphäre erzeugte, um Persönlichkeiten so ineinander verschmelzen zu lassen, wie Tony das andeutete. Eine solche Belastung kann zwar dieses Verschmelzen nicht bewirken, aber ganz sicher die Voraussetzung dafür schaffen.«
Tony stimmte ihr zu. »Von den Bändern, die wir heute morgen in Dr. Rudges Praxis gehört haben, wissen wir, daß Bruno über Glückshauben Bescheid wußte. Wir erfuhren auch, daß er die abergläubische Vorstellung teilte, die sich mit diesem seltenen Phänomen verbindet. So wie seine Stimme auf dem Tonband klang, können wir, so glaube ich, ohne weiteres annehmen, daß er, ebenso wie seine Mutter, an dieses Zeichen eines Dämons glaubte. Und es gibt auch noch andere Dinge, die zum selben Schluß führen. Beispielsweise der Brief im Schließfach. Bruno schrieb, daß er nicht um Polizeischutz gegen seine Mutter bitten könnte, weil die Polizei dann herausfände, was er war und was er all die Jahre verborgen hatte. In dem Brief schrieb er, wenn die Leute herausfänden, was er war, würden sie ihn zu Tode steinigen. Er hat geglaubt, der Sohn eines Dämons zu sein. Da bin ich ganz sicher. Er hat Katherines Wahnvorstellungen in sich aufgenommen.«
»Also gut«, gab Joshua nach. »Vielleicht haben beide Zwillinge diesen Unsinn vom Dämon geglaubt, weil sie nie eine Chance hatten, es nicht zu glauben. Aber das erklärt immer noch nicht, wie oder weshalb Katherine die beiden zu einer Person formte, wie sie
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