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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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sie dazu brachte, psychologisch ... – um Ihre Worte zu wählen – zusammenzuschmelzen.«
    »Das Warum läßt sich am einfachsten beantworten«, fuhr Hilary fort. »Solange die Zwillinge sich als eigene Individuen betrachteten, mußte es auch Unterschiede zwischen ihnen geben, wenn auch nur geringfügige. Und je mehr Unterschiede es gab, desto wahrscheinlicher würde einer von beiden, ohne das zu wollen, irgendwann einmal die ganze Maskerade auffliegen lassen. Je mehr sie sie also zwingen konnte, in gleicher Weise zu handeln, zu denken, zu reden und sich zu bewegen, desto sicherer konnte sie sich fühlen.«
    »Und was das Wie betrifft«, ergänzte Tony, »sollten Sie nicht vergessen, daß Katherine Mittel und Wege kannte, einen Menschen zu zerbrechen. Schließlich war sie selbst von einem Meister zerbrochen und neu geformt worden, von Leo. Er hatte alle Mittel eingesetzt, sie so zu formen, wie er sie haben wollte. Das muß sie ja gelernt haben. Die Technik der körperlichen und geistigen Folter. Wahrscheinlich hätte sie ein Lehrbuch darüber schreiben können.«
    »Um die Zwillinge wie eine Person denken zu lassen«, fuhr Hilary fort, »muß sie sie wie eine Person behandelt haben. Sie mußte ihnen beispielsweise ihre Liebe in genau dem gleichen Maß zuteil werden lassen, wenn überhaupt. Sie muß beide für das bestraft oder belohnt haben, was einer tat, die zwei Körper so behandelt haben, als besäßen sie einen Verstand. Sie muß mit ihnen geredet haben, als wären sie eine Person und nicht zwei.« »Und jedesmal, wenn sie auch nur einen Funken von Individualität zeigten, muß sie sie entweder beide gezwungen haben, zu handeln, oder es zu unterdrücken, und der Gebrauch von Fürwörtern hat eine entscheidende Rolle gespielt«, erklärte Tony. »Der Gebrauch von Fürwörtern?« fragte Joshua verblüfft. »Ja«, antwortete Tony. »Das klingt jetzt vielleicht weit hergeholt, vielleicht auch sinnlos. Aber das Verständnis und der Gebrauch von Sprache formt uns mehr als irgend etwas anderes. Die Sprache ist für uns ein Weg, jede Idee, jeden Gedanken auszudrücken. Schlampiges Denken führt zu schlampigem Sprachgebrauch. Aber auch das Gegenteil gilt: Unpräzise Sprache erzeugt unpräzises Denken; das ist einer der Grundsätze der Semantik. Die Theorie ist also durchaus logisch, daß der gezielte Einsatz von Fürwörtern dabei half, gezielt das falsche Selbstbild zu erzeugen, das Katherine bei den Zwillingen wollte. Wenn beispielsweise die Zwillinge miteinander sprachen, durfte sie nie zulassen, daß sie das Fürwort ›du‹ benutzten. Denn ›du‹ verkörpert im Gegensatz zum eigenen Ich den Begriff einer anderen Person. Wenn die Zwillinge gezwungen wurden, sich als ein Geschöpf zu fühlen, durfte es auch das Fürwort ›du‹ zwischen ihnen nicht geben. Ein Bruno konnte niemals zum anderen sagen: ›Was hältst du davon, wenn wir Monopoly spielen?«. Statt dessen mußte er sagen: ›Was halte ich davon, mit mir Monopoly zu spielen?‹ Er durfte nie die Fürwörter ›wir‹ oder ›uns‹ gebrauchen, wenn er von sich und seinem Bruder sprach, weil diese Fürwörter wenigstens zwei Menschen meinten. Statt dessen muß er ›ich und ich‹ gesagt haben, wenn er ›wir‹ meinte. Darüber hinaus durfte Katherine auch nicht zulassen, daß einer der Zwillinge, sobald er über seinen Bruder sprach, das Fürwort ›er‹ gebrauchte. Auch das verkörpert den Begriff eines anderen Individuums. Kompliziert?« »Verrückt«, entgegnete Joshua. »Genau das ist es aber«, erklärte Tony. »Aber das ist einfach zuviel, zu verrückt.« »Natürlich ist es verrückt«, meinte Tony. »Das Ganze war Katherines Plan, und Katherine hatte den Verstand verloren.« »Aber wie konnte sie denn all diese bizarren Regeln über Gewohnheiten und Fürwörter und was zum Teufel sonst noch alles durchsetzen?«
    »Genau so, wie man ganz gewöhnliche Regeln bei gewöhnlichen Kindern durchsetzt«, meldete sich Hilary zu Wort. »Wenn sie das Richtige tun, belohnt man sie, wenn sie etwas Falsches tun, werden sie bestraft.«
    »Aber um Kinder dazu zu bringen, sich so unnatürlich zu verhalten, wie Katherine das von den Zwillingen verlangte, um sie dazu zu bringen, ihre Individualität völlig aufzugeben, muß die Strafe doch wahrhaft ungeheuerlich gewesen sein«, sagte Joshua. »Wir wissen auch, daß sie ungeheuerlich war«, erklärte Tony. »Wir haben alle Dr. Rudges Tonbandaufzeichnungen der letzten Sitzung mit Bruno gehört, wo er ihn

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