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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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die Bilder nahm, verweilten ihre Finger einen Augenblick lang auf seinen. Im übrigen schien sie sehr viel von Augenkontakt zu halten. Es hatte den Anschein, als wollte sie durch seinen Kopf hindurchsehen. »Ich heiße Judy. Und Sie?« »Tony Clemenza.«
    »Ich hab' gewußt, daß Sie Italiener sind. Das erkennt man an Ihren dunklen, seelenvollen Augen.« »Die verraten mich jedesmal.« »Und Ihr dichtes, schwarzes lockiges Haar.« »Und die Spaghettisoßenflecken auf meinem Hemd?« Sie schaute auf sein Hemd.
    »In Wirklichkeit gibt's gar keine Flecken«, bemerkte er. Sie runzelte die Stirn.
    »Ich hab' bloß einen Witz gemacht«, meinte er. »Oh.«
    »Erkennen Sie Bobby Valdez?«
    Endlich schaute sie die Fotos an. »Nee. Wahrscheinlich war ich an dem Abend doch nicht hier. Aber übel sieht er nicht aus, oder? Irgendwie nett.« »Ein Babygesicht.«
    »Das wär' wohl genauso, als würd' ich mit meinem kleinen Bruder ins Bett hüpfen«, meinte sie. »Pervers.« Sie grinste. Er nahm ihr die Fotos wieder ab. »Einen hübschen Anzug tragen Sie da«, bemerkte sie. »Danke.«
    »Wirklich ein hübscher Schnitt.« »Danke.«
    Das war nicht nur eine moderne Frau, die ihr Recht wahrnahm, sexuell aggressiv zu sein. Er mochte moderne Frauen. Die hier wirkte irgendwie unheimlich, ein Typ mit Ketten und Peitschen. Oder noch schlimmer. Er kam sich vor wie ein kleiner Leckerbissen, ein Canape, das letzte Stück Toast und Kaviar auf einem silbernen Tablett.
    »In einem solchen Lokal findet man solche Anzüge nicht oft«, sagte sie. »Ja, da haben Sie wahrscheinlich recht.«
    »Hier sieht man eher T-Shirts, Jeans und Lederjacken, den Hollywood-Look!«
    Er räusperte sich. »Nun«, meinte er ein wenig unsicher, »ich bin Ihnen jedenfalls dankbar für Ihre Hilfsbereitschaft.« »Ich mag gutgekleidete Männer«, behauptete sie. Wieder bohrten sich ihre Augen in die seinen, und er erkannte dieses Aufflackern animalischer Gier. Er hatte das Gefühl, würde er sie in ihr Apartment begleiten, so schlösse sich die Tür hinter ihm wie ein großes Maul. Und dann würde sie sich sofort auf ihn stürzen, zerren, reißen und ihn herumwirbeln, ihn mit einer Flut von Magensäften auflösen und alles Nahrhafte aus ihm heraussaugen, ihn so lange benützen, bis er sich in Stücke auflöste, zerfiel oder einfach aufhörte zu existieren und zu einem Teil von ihr wurde.
    »Ich mach' mich wieder an die Arbeit«, sagte er und glitt vom Barhocker. »Vielleicht seh'n wir uns ja mal.« »Das hoffe ich.«
    In der nächsten Viertelstunde zeigten Tony und Frank die Fotos von Bobby Valdez den Gästen des Paradise. Sie gingen von Tisch zu Tisch, und die Band spielte Rolling-Stones-, Elton-John- und Bee-Gees-Stücke in solcher Lautstärke, daß Tonys Zähne mitvibrierten. Natürlich war es Zeitverschwendung. Niemand im Paradise erinnerte sich an den Killer mit dem Babygesicht.
    Beim Hinausgehen blieb Tony noch einmal kurz am langen eichengetäfelten Tresen stehen, wo Otto gerade Erdbeer-Margaritas mixte. »Eine Frage noch«, schrie er, um die Musik zu übertönen.
    »Aber gerne«, brüllte Otto zurück.
    »Kommen die Leute denn nicht in solche Lokale, um sich kennenzulernen?«
    »Um Kontakte zu knüpfen. Das ist ja der ganze Witz daran.« »Warum, zum Teufel, haben dann so viele Single-Lokale solche Bands?«
    »Was gefällt Ihnen denn nicht an der Band?« »Eine ganze Menge. Aber in erster Linie ist sie einfach zu laut.« »Und?«
    »Wie kann man da ein interessantes Gespräch führen?« »Ein interessantes Gespräch?« meinte Otto. »He, Mann, deshalb kommen die doch nicht hierher. Die wollen einander kennenlernen, sich umsehen, jemanden finden, mit dem sie ins Bett springen können.« »Und kein Gespräch?«
    »Schauen Sie die doch an. Sehen Sie sich um. Worüber sollten die miteinander reden? Wenn wir hier nicht dauernd laute Musik machen würden, würden die ganz schön nervös werden.«
    »All diese Pausen, in denen es so leise ist, daß man wahnsinnig wird.«
    »Da haben Sie recht. Die würden sofort woanders hingehen.«
    »Wo die Musik noch lauter ist und sie nur Körpersprache brauchen.«
    Otto zuckte die Achseln. »So ist das eben heutzutage.« »Vielleicht hätte ich in einer anderen Zeit leben sollen«, meinte Tony.
    Trotz der lauen Nacht draußen wußte Tony, daß es bald kühler werden würde. Ein dünner Nebel stieg vom Meer auf, kein richtiger Nebel, eher eine Art feuchter, fettiger Atem, der in der Luft hing und um alle Lichter kleine Heiligenscheine

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