Flüstern in der Nacht
Frank vermeiden wollte, daß Tony wieder ein Gespräch anfing, schaltete er den Polizeifunk ein und hörte die Einsatzmeldungen für Westwood, dort befanden sie sich gerade. Auf der Frequenz tat sich nicht viel. Ein Familienstreit. Ein Zusammenstoß mit Blechschaden an der Ecke Westwood Boulevard und Wilshire. Ein scheinbar verdächtiger Mann in einem parkenden Wagen an einer ruhigen Wohnstraße nahe der Hilgarde Avenue hatte Aufmerksamkeit erregt und sollte überprüft werden.
In den meisten der anderen sechzehn Polizeibezirke der Stadt ging es nachts sicher nicht so friedlich zu wie im privilegierten Westwood. In den Bezirken Seventyseventh, Newton und Southwest, einem vorwiegend schwarzen Wohnbezirk südlich des Santa Monica Freeway, würden sich die Streifenbeamten ganz bestimmt nicht langweilen; dort herrschte meist Hochbetrieb. Im Osten der Stadt, in den Mexikanervierteln, würden die Gangs weiter die große Mehrheit gesetzestreuer Chicano-Bürger so lange provozieren, bis diese zurückschlugen. Bis Dienstende der mittleren Nachtschicht um drei Uhr – drei Stunden nach Beginn der Morgenwache – hätte es bestimmt im Osten einige häßliche Fälle von Bandengewalttätigkeit gegeben, Punks würden andere Punks mit dem Messer bedroht haben, vielleicht gäbe es ein oder zwei Schießereien, zumindest eine mit tödlichem Ausgang, weil ein paar verrückte Machos ihre Männlichkeit in den ermüdenden, stupiden zeitlosen Blutzeremonien zur Schau stellen wollten, seit Generationen getrieben von ihrer südländischen Leidenschaft. Im Nordwesten, jenseits der Berge, würden die wohlhabenden jungen Leute aus dem Tal wieder zuviel Whisky trinken, zuviel Shit rauchen und zuviel Kokain schnupfen – und anschließend Zusammenstöße mit Personenwagen, Kombis oder ihren Motorrädern aufgrund verrückter Geschwindigkeit produzieren, und das mit geradezu ermüdender Regelmäßigkeit.
Frank passierte gerade die Einfahrt zu den Bel Air Estates und bog in eine Hügelstraße zum UCLA Campus ein, da belebte sich plötzlich die Westwood-Szene. Die Funkzentrale sandte ›Frauin-Not‹ aus. Die zur Verfügung stehende Information war knapp. Allem Anschein nach handelte es sich um versuchte Notzucht und Überfall mit tödlicher Waffe. Es wurde nicht klar, ob sich der Angreifer noch in dem Gebäude aufhielt. Schüsse waren gefallen, aber die Polizeizentrale hatte von der Anruferin nicht in Erfahrung bringen können, ob die Waffe ihr oder dem Angreifer gehörte. Sie wußten auch nicht, ob jemand verletzt worden war. »Da müssen wir blind rein«, meinte Tony. »Das Haus liegt nur ein paar Straßen von hier entfernt«, erklärte Frank. »Wir können in einer Minute dort sein.«
»Wahrscheinlich viel schneller als der Streifenwagen.« »Wollen wir uns einschalten?« »Klar.«
»Ich sag' es ihnen.«
Tony griff nach dem Mikrofon, und Frank bog bei der ersten Abzweigung scharf links ab. Eine Straße später ging's wieder links rein; Frank fuhr so schnell, wie er auf der schmalen, von Bäumen gesäumten Straße konnte.
Tonys Herzschlag beschleunigte sich direkt proportional zum Wagen. Er empfand jene uralte Erregung, einen kalten, harten Knoten der Angst in seinen Gedärmen. Er erinnerte sich an Parker Hitchison, einen ganz besonders launischen, mürrischen, humorlosen Partner, den er im zweiten Jahr als Streifenbeamter eine kurze Zeit lang ertragen mußte, lange vor seiner Detektiv-Plakette. Bei jedem Notruf, egal, ob es sich um einen Code-Drei-Notfall oder nur um eine verängstigte Katze irgendwo in einem Baum handelte, seufzte Parker Hitchison kläglich und meinte: »Diesmal erwischt's uns.« Das war unheimlich und konnte einem richtig angst machen. Jedesmal wieder, in jeder Schicht, Nacht für Nacht, behauptete er, mit ehrlichem unerschütterlichem Pessimismus: »Diesmal erwischt's uns« – Tony wäre fast verrückt geworden dabei.
Hitchisons Grabesstimme und jene drei Worte verfolgten ihn bis heute in Augenblicken wie diesen. Diesmal erwischt's uns?
Frank bog hastig um die Ecke und hätte fast einen schwarzen BMW gestreift, der zu dicht an der Kreuzung parkte. Die Reifen quietschten, ihr Wagen schlitterte zur Seite, und Frank meinte: »Die Adresse sollte doch irgendwo hier draußen sein.«
Tony schaute aus zusammengekniffenen Augen auf die im Schatten liegenden Häuser, die nur zum Teil von den Straßenlaternen beleuchtet waren. »Da ist es, glaub' ich«, antwortete er und deutete in die Dunkelheit.
Das große Haus im
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