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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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die Wahrscheinlichkeit hoch? Nicht sehr hoch. Genauso, als erführe er plötzlich, daß er der lang verloren geglaubte Sohn eines reichen arabischen Prinzen wäre. So wie Michael Savatino stets von einem Restaurant geträumt hatte, wünschte sich Tony Clemenza, als freischaffender Künstler tätig zu sein. Er hatte Talent. Arbeitete mit verschiedenen Materialien und Techniken, die sich durchaus sehen lassen konnten: Feder- und Tuschezeichnungen, Wasserfarben – und Ölbilder. Seine Technik war noch nicht ausgereift, aber er besaß eine Menge kreativer Phantasie. Wäre er aus halbwegs bescheidenen finanziellen Verhältnissen gekommen, so hätte er vielleicht eine gute Schule besucht und von guten Professoren eine entsprechende Ausbildung empfangen, seine gottgegebenen Fähigkeiten geschärft und vielleicht Erfolg damit gehabt. Statt dessen bildete er sich mit Hunderten von Kunstbüchern in Tausenden von Zeichenstunden und Materialexperimenten mühsam fort, und wurde von jenem verderblichen Mangel an Selbstvertrauen befallen, der alle beschleicht, die sich irgendeine Fähigkeit selbst beibrachten. Obwohl er an vier Kunstausstellungen teilgenommen und in seiner Abteilung zweimal den ersten Preis gewonnen hatte, zog er es doch nie ernsthaft in Erwägung, deswegen seine Stellung aufzugeben und sich ins kreative Leben zu stürzen. An jener angenehmen Phantasievorstellung, diesem Tagtraum konnte er sich gelegentlich erfreuen. Der Sohn Carlo Clemenzas würde nie den regelmäßig jede Woche eintreffenden Gehaltsscheck gegen die qualvolle Unsicherheit der Selbständigkeit eintauschen, außer er hätte vorher aus Las Vegas ein Vermögen zur Bank gebracht. Er beneidete Michael Savatino um sein Glück. Natürlich blieben sie weiterhin enge Freunde; und er freute sich für Michael. Ehrlich. Aber gleichzeitig quälte ihn die Eifersucht. Schließlich war er nur ein Mensch, und in seinem Hinterkopf blinkte, wie eine Neonleuchte, immer wieder dieselbe Frage auf: 'Warum ist das nicht mir passiert?'
    Frank trat auf die Bremse und riß Tony aus seinen Träumen. Er hupte einen Corvette an, der ihn geschnitten hatte. »Arschloch!«
    »Ruhig Blut, Frank.«
    »Manchmal wünschte ich, Uniform zu tragen, dann könnte ich diesem Idioten einen Strafzettel verpassen.« »Das ist das letzte, was du dir wünschen sollst.« »Den Arsch würd' ich ihm an die Wand nageln.« »Du würdest vielleicht feststellen, daß er bis zum Stehkragen mit Drogen voll ist oder einfach verrückt. Wenn man zu lange in der Verkehrsabteilung arbeitet, vergißt man, daß die Welt von Idioten wimmelt. Man verfällt leicht in eine Gewohnheit, eine Routine, und wird unvorsichtig. Du würdest ihn vielleicht aufhalten und mit dem Strafzettel in der Hand auf seine Tür zugehen, und er würde dich mit einer Knarre begrüßen. Vielleicht würde er dir den Kopf wegblasen. Nein. Ich bin froh, daß ich den Verkehrsdienst für immer hinter mir habe. Bei einem Mordfall weiß man wenigstens, mit was für Leuten man zu tun hat. Man vergißt nie, daß irgendwo einer mit einer Pistole, einem Messer oder einem Stück Bleirohr auf einen wartet. Bei Mordsachen ist die Wahrscheinlichkeit sehr viel geringer, unvorsichtigerweise irgendeine häßliche Überraschung zu erleben.«
    Frank wollte sich ganz offensichtlich nicht auf größere Diskussionen einlassen. Er wandte den Blick nicht von der Straße, brummelte mürrisch vor sich hin und verstummte dann wieder total.
    Tony seufzte. Er betrachtete die vorüberziehende Szenerie mit den Augen eines Künstlers, achtete auf unerwartete Details und bisher unerkannte Schönheit.
    Muster.
     
    Jede Szene – jede Landschaft, jeder Blick aufs Meer, jede Straße, jedes Gebäude, jedes Zimmer darin, jede Person, einfach alles – sie alle besaßen ihre ureigenen besonderen Muster. Wenn man die Muster einer Szene wahrnahm, so konnte man darüber hinaus die tieferliegende Struktur erkennen, die sie erzeugte. Wollte man die Methode sehen und erfassen, mit der man oberflächliche Harmonie erzielen würde, könnte man am Ende die tiefere Bedeutung, ja die Mechanismen eines jeden Gegenstandes verstehen und dann ein gutes Gemälde anfertigen. Nahm man andererseits nur seine Pinsel und ginge ohne vorherige Analyse an die Leinwand, so hätte man am Ende vielleicht ein hübsches Bild, würde aber kein Kunstwerk produzieren.

    Muster.
     
    Frank Howard fuhr auf dem Wilshire Boulevard in östlicher Richtung zur Single-Bar The Big Quake in Hollywood, und Tony suchte

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