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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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erholen würde.
    Nachdem sie den Hörer wieder auflegte, fühlte sie sich besser. Sie wußte, daß Hilfe kam. Sie ging die Treppe hinunter und sagte laut zu sich: »Bleib ruhig. Bleib ganz ruhig. Du bist Hilary Thomas. Du bist zäh. Zäh und hart wie Stahl. Du hast keine Angst. Niemals. Alles wird gut.« Dieselbe Litanei hatte sie als Kind in jenem Apartment in Chicago so oft heruntergeleiert. An der ersten Tür angelangt, fing sie langsam an, sich wieder in den Griff zu kriegen.
    Sie stand im Vorraum und schaute durch das schmale, bleiverglaste Fenster neben der Tür hinaus. Ein Wagen hielt soeben in den Einfahrt. Zwei Männer stiegen aus. Obwohl sie nicht mit lauten Sirenen und blitzendem Rotlicht kamen, wußte sie doch genau, daß die beiden Männer von der Polizei waren. Sie entriegelte die Tür und öffnete ihnen.
    Der erste Mann, der vor sie trat, war kräftig, blond und blauäugig und besaß die für Bullen typische harte Stimme. Er hielt in der rechten Hand eine Waffe. »Polizei. Wer sind Sie?« »Thomas«, antwortete sie. »Hilary Thomas. Ich habe angerufen.«
    »Ist das ihr Haus?« »Ja. Da war ein Mann –«
    Ein zweiter Detektiv, größer und dunkler, tauchte aus der Nacht auf und unterbrach sie, ehe sie den Satz zu Ende führen konnte. »Befindet er sich noch auf dem Gelände?« »Was?«
    »Ist der Mann, der Sie überfallen hat, noch hier?« »Oh, nein. Weg. Er ist weg.«
    »In welche Richtung ist er weggegangen?« wollte der Blonde wissen.
    »Zu dieser Tür hinaus.« »Hatte er einen Wagen?« »Das weiß ich nicht.« »War er bewaffnet?« »Nein. Ich meine, ja.« »Was also?« »Er hatte ein Messer. Aber jetzt nicht mehr.«
    »In welche Richtung lief er, als er das Haus verließ?« »Ich weiß nicht. Ich war oben. Ich –«
    »Wie lange ist es her, daß er das Haus verlassen hat?« wollte der große Dunkle wissen. »Vielleicht fünfzehn, zwanzig Minuten.« Die beiden wechselten einen Blick, den sie nicht verstand, der aber – das war ihr sogleich klar – nichts Gutes für sie verhieß.
    »Warum haben Sie so lange gebraucht, um uns zu verständigen?« fragte der Blonde. Irgendwie wirkte er feindselig.
    Sie spürte, daß sie im Begriff stand, einen gewichtigen Vorteil einzubüßen, und dennoch konnte sie ihn nicht näher ausmachen.
    »Zuerst war ich ... konfus«, meinte sie. »Hysterisch. Ich brauchte ein paar Minuten, um mich wieder zu fangen.« »Zwanzig Minuten?« »Vielleicht waren es nur fünfzehn.« Die beiden Detektive steckten ihre Revolver weg. »Wir brauchen eine Beschreibung«, erklärte der Dunkle. »Ich kann Ihnen etwas viel Besseres geben«, meinte sie und trat beiseite, um sie ins Haus zu lassen. »Ich kann Ihnen den Namen sagen.« »Welchen Namen?«
    »Seinen Namen. Ich kenne ihn«, erklärte sie, »den Mann, der mich angegriffen hat. Ich weiß, wer das ist.« Wieder wechselten die beiden Detektive jenen Blick. Sie dachte: Was hab' ich falsch gemacht?
     
    Hilary Thomas war eine der schönsten Frauen, die Tony je gesehen hatte. Sie mußte ein paar Tropfen Indianerblut in sich haben. Sie besaß langes dichtes Haar, dunkler als das seine, ein von innen heraus leuchtendes Rabenschwarz. Das Weiße um ihre tiefdunklen Augen wirkte so klar wie pasteurisierte Sahne. Ihr makelloser Teint leuchtete in einem leicht milchigen Bronzeton, wahrscheinlich vorwiegend aufgrund der kalifornischen Sonne. Ihr etwas zu langes Gesicht wurde durch die Größe ihrer Augen, die perfekte Form ihrer Patriziernase
     
    und die fast obszöne Fülle ihrer Lippen ausgeglichen. Sie besaß ein erotisches Gesicht, und zugleich das intelligente, freundliche Gesicht einer Frau, die über große Zartheit und Mitgefühl verfügte. Auch Schmerz zeigte ihr Antlitz, besonders in diesen faszinierenden Augen lag eine Art von Schmerz, der sich aus Erfahrung und Wissen zusammensetzte; und Tony vermutete, das war nicht nur jener Schmerz, den man ihr in dieser Nacht zugefügt hatte; ein Teil davon lag weit, weit zurück.
    Sie saß auf der Vorderkante des Cordsamtsofas in dem ringsherum von Büchern gesäumten Arbeitszimmer; Tony hockte; am anderen Ende. Sie waren alleine.
    Frank telefonierte in der Küche mit einem Mann des Hauptquartiers.
    Oben beschäftigten sich zwei uniformierte Streifenbeamte, Whitlock und Farmer, damit, die Kugeln aus den Wänden zu holen.
    Ein Fingerabdruckmann befand sich nicht im Haus, da der Eindringling laut Aussage Handschuhe getragen hatte. »Was macht er jetzt?« fragte Hilary Thomas.

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