Flüstern in der Nacht
möchte, daß Sie mit Lieutenant Clemenza und mir noch einmal alles durchgehen, was Sie erlebt haben, damit ich alles exakt niederschreiben kann. Dann sind Sie uns los.«
Sie ging mit ihnen in den Vorraum und begann ihre Darstellung mit dem detaillierten Bericht über Bruno Fryes überraschendes Erscheinen. Tony und Frank folgten ihr zu dem umgeworfenen Sofa, dann ins Obergeschoß ins Schlafzimmer und stellten dabei Fragen. In der halben Stunde, in denen sie das Formular ausfüllten und Hilary ihnen die Ereignisse des Abends schilderte, schwankte ihr Stimme hin und wieder. Jedesmal empfand Tony den Drang, sie an seine Brust zu drücken und zu trösten.
Gerade als sie den Bericht abgeschlossen hatten, tauchten einige Reporter auf. Sie ging nach unten, um sie einzulassen. Gleichzeitig kam ein Anruf für Frank von seiner Dienststelle, den er in ihrem Schlafzimmer entgegennahm. Tony ging hinunter, um auf Frank zu warten und um auch mitzuerleben, wie Hilary Thomas mit den Journalisten fertig wurde. Sie verhielt sich sehr geschickt, schützte Müdigkeit vor, ließ sie nicht ins Haus. Statt dessen ging sie nach draußen auf den Plattenweg vor dem Haus; und die Journalisten scharten sich um sie. Ein Fernsehteam war inzwischen eingetroffen, mit Handkamera und dem üblichen Schauspieler-Reporter, der seinen Job in erster Linie seinen markanten Gesichtszügen den durchdringenden Augen und der tiefen väterlichen Stimme verdankte. Intelligenz und journalistisches Können waren nicht nötig, um in Fernsehnachrichten auftreten zu können; ein Übermaß dieser Fähigkeiten konnte sich sogar nachteilig aus-wirken; der karrierebewußte Fernsehreporter mit dem größten Erfolg dachte in etwa genau so, wie es die Programmstrukturierung verlangte – in Drei-, Vier- und Fünf-Minuten-Segmenten; man sollte sich auch nie länger mit einem Thema befassen und keinesfalls gründlicher nachforschen. Der Zeitungsjournalist mit seinem Fotografen sah nicht so gut aus wie der Mann vom Fernsehen, war auch nicht so gut gekleidet. Hilary Thomas beantwortete ihre Fragen spielend, ging auch nur auf diejenigen ein, die sie beantworten wollte; die anderen, zu persönlichen oder gar unverschämten Fragen nahm sie einfach nicht zur Kenntnis. Was Tony am meisten beeindruckte, war die Art und Weise, wie sie die Journalisten, ohne sie zu beleidigen, ihrem Haus und ihren persönlichen Empfindungen fernhielt. Das mußte gar nicht so einfach sein. Es gab viele ausgezeichnete Reporter, die die Fähigkeit besaßen, Wahrheiten auszugraben und gute Storys zu schreiben, ohne die Rechte und die Menschenwürde der Betreffenden zu verletzen; aber es gab auch ebenso viele andere Rüpel, die in letzter Zeit ungeheuer an Macht gewonnen hatten. Legte man sich mit einem Reporter an, mit seinen Methoden oder seiner von Vorurteilen behafteten Art und Weise der Gesprächsführung, oder beleidigte man ihn gar, so vermochte er wiederum, einen als Lügner, Verbrecher oder zumindest als Narren darzustellen. Und er selbst sah sich dann als Vorkämpfer der Aufklärung im Kampf gegen das Böse. Hilary wußte um diese Gefahr, denn sie ging geradezu meisterhaft mit ihnen um. Sie beantwortete die meisten Fragen, gab den Journalisten Streicheleinheiten, erwies ihnen Respekt, bezauberte sie geradezu und lächelte sogar in die Kameras. Sie erwähnte aber nicht, daß sie den Täter kannte. Sie deutete auch den Namen Bruno Frye mit keiner Silbe an, wollte nicht, daß die Medien Spekulationen über ihre bisherige Beziehung zu diesem Angreifer anstellten.
Diese Geschicklichkeit veranlaßte Tony zum Umdenken. Er hatte sie für talentiert und intelligent gehalten, doch jetzt erkannte er, daß sie darüber hinaus auch noch Klugheit besaß. Schon lange war er keiner Frau von ihren Qualitäten mehr begegnet.
Beinahe am Ende des Interviews angelangt, stand Hilary gerade im Begriff, sich geschickt zu verabschieden, als Frank Howard die Treppe herunterkam und unter die Tür trat, wo Tony in der kühlen Nachtluft wartete. Frank beobachtete Hilary Thomas, wie sie eine Reporterfrage beantwortete, und runzelte finster die Stirn. »Ich muß mit ihr reden.« »Was wollten die denn von der Zentrale?« fragte Tony. »Deshalb muß ich ja mit ihr reden«, erwiderte Frank, noch immer mürrisch. Er hatte sich dafür entschieden, wortkarg zu bleiben, würde sein Wissen also erst ausspucken, wenn es ihm paßte, eine seiner unangenehmen Eigenschaften. »Sie ist mit denen fast fertig«, meinte Tony. »Die gibt ja
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