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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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sich wie von Treibsand umgeben, so, als hätte sie ihre letzten Kräfte in einem verzweifelten, sinnlosen Versuch aufgebraucht, unfähig, der tödlichen Umklammerung zu entrinnen.
    Schließlich stand sie auf, ging an den Schreibtisch und griff nach dem Telefon. Sie dachte daran, auf dem Weingut in Napa County anzurufen, doch dann wurde ihr klar, daß sie damit nichts bewirken würde. Sie kannte nur die Geschäftsnummer, nicht aber Fryes Privatnummer. Selbst wenn sie sich die Nummer von der Auskunft besorgte – und das war höchst unwahrscheinlich – würde ihr ein Anruf nichts einbringen Würde sie ihn zu Hause anrufen, könnte nur zweierlei geschehen: zum einen könnte er nicht ans Telefon gehen; das würde ihre Darstellung weder beweisen noch widerlegen, was Sheriff Laurenski gesagt hatte; zum anderen könnte Frye sich melden und sie überraschen. Was dann? Dann würde sie die Vorgänge des Abends neu überdenken und sich mit der Tatsache abfinden müssen, daß der Angreifer Bruno Frye nur ähnlich gewesen wäre. Vielleicht sah er gar nicht wie Frye aus. Vielleicht war ihr Wahrnehmungsvermögen tatsächlich so verdreht, daß sie eine Ähnlichkeit festgestellt hatte, wo gar keine vorhanden war. Wo hörte man auf oder fing an, den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren? Was bedeutet Geistesgestörtheit? Kroch sie verstohlen auf einen zu, oder packte sie einen ganz unvermittelt und ohne Vorwarnung? Sie mußte die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß sie im Begriff stand, den Verstand zu verlieren, denn immerhin war in ihrer Familie Geistesgestörtheit vorgekommen. Mehr als zehn Jahre plagte sie eine ihrer größten Ängste, sie könnte sterben, wie ihr Vater gestorben war; mit wild rollenden Augen, tobsüchtig, zusammenhanglos redend, mit einer Waffe herumfuchtelnd und bemüht, Ungeheuer abzuwehren, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden waren. Wie der Vater, so die Tochter?
    »Ich habe ihn gesehen«, wiederholte sie laut. »Bruno Frye. In meinem Haus. Hier. In dieser Nacht. Ich habe mir das nicht eingebildet oder litt an Halluzinationen. Ich habe ihn gesehen, verdammt!«
    Sie schlug die gelben Seiten des Telefonbuches auf und rief den Schlüsselnotdienst an.
     
    Nach der Flucht aus Hilary Thomas' Haus fuhr Bruno Frye mit seinem rauchgrauen Dodge-Kombi aus Westwood hinaus, in südwestlicher Richtung nach Marina Del Rey, einem kleinen Segelboothafen am Rande der Stadt. Teure Gartenapartments, noch teurere Eigentumswohnungen, Läden und mittelmäßige, aber üppig dekorierte Restaurants boten meist einen Ausblick aufs Meer und auf Tausende von Privatbooten, die hier entlang der künstlich angelegten Kanäle vertäut lagen.
     
    Der Nebel wälzte sich über die Küste herein, als brenne auf dem Ozean ein großes kaltes Feuer. An manchen Stellen war er ziemlich dicht, an anderen dünn, verstärkte sich aber beständig.
    Frye zwängte seinen Kombi in die freie Lücke eines Parkplatzes bei den Docks, saß dann einen Augenblick lang einfach nur da und dachte über sein Versagen nach. Die Polizei würde nach ihm fahnden, doch nur kurze Zeit, bis sie herausfänden, daß er den ganzen Abend in seinem Haus in Napa County war. Und selbst während sie nach ihm suchten, befände er sich kaum in großer Gefahr, da sie ja sein Fahrzeug nicht kannten. Er war sicher, daß Hilary Thomas den Kombi beim Wegfahren nicht gesehen hatte, weil er ihn drei Straßen von ihrem Haus entfernt abgestellt hatte. Hilary Thomas.
    Das war natürlich nicht ihr richtiger Name. Katherine. So hieß sie wirklich. Katherine. »Stinkendes Miststück«, schimpfte er laut. Sie machte ihm angst. In den letzten fünf Jahren hatte er sie mindestens zwanzigmal getötet, doch sie wollte nicht im Totenreich bleiben, sondern kam immer wieder ins Leben zurück, in einem neuen Körper, mit neuem Namen, neuer Identität und einem raffiniert aufgebauten neuen Hintergrund. Doch es gelang ihm immer wieder, Katherine stets wiederzuerkennen, in jeder neuen Maske, hinter der sie sich versteckte. Immer wieder hatte er sie aufgespürt, immer wieder getötet, doch sie wollte nicht tot bleiben. Sie verstand es, jedesmal aus dem Grab zurückzukehren; und ihr Wissen bereitete ihm mehr Schrecken, als er zuzugeben wagte. Er hatte Angst vor ihr, durfte aber nicht zulassen, daß sie diese Angst spürte. Solte sie sie bemerken, so würde sie ihn überwältigen und ein für allemal vernichten.
    Aber man kann sie ja töten, sagte sich Frye. Ich habe es getan, habe sie oftmals getötet und

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