Flüstern in der Nacht
viele der Leichen in geheimen Gräbern verscharrt. Und ich werde sie wieder töten. Vielleicht wird sie diesmal nicht zurückkehren.
Sobald er gefahrlos in ihr Haus in Westwood zurückkehren könnte, würde er sie erneut umzubringen versuchen. Und diesmal hatte er vor, eine Reihe von Ritualen zu vollführen, in der Hoffnung, daß sie dadurch ihre übernatürliche Regenerationsfähigkeit verlieren würde. Er hatte zahlreiche Bücher über die lebenden Toten gelesen – Vampire oder andere Geschöpfe. Obwohl sie jener Art von Geschöpfen nicht angehörte und auf erschreckende Art einmalig schien, so glaubte er doch, eine der Methoden, die gegen Vampire half, müßte auch an ihr funktionieren. Vielleicht sollte man ihr das Herz herausschneiden, solange es noch schlug. Einen hölzernen Pfahl hindurchtreiben. Ihr den Kopf abschneiden. Ihren Mund voll Knoblauch stopfen. Das würde helfen. O Gott, es mußte wirken.
Er stieg aus dem Wagen und ging in die nächstgelegene öffentliche Telefonzelle. Die stickige Luft roch etwas nach Salz, Seetang und Maschinenöl. Wasser schlug klatschend gegen die Poller und die kleinen Boote, ein seltsam verloren wirkendes Geräusch. Jenseits der Plexiglaswände der Zelle ragten Mastreihe um Mastreihe aus dem Wasser auf, wie ein entblätterter Wald, der sich aus dem nächtlichen Nebel erhob. Etwa um dieselbe Zeit, da Hilary die Polizei verständigte, rief Frye in seinem Haus in Napa County an und lieferte einen Bericht über den gescheiterten Angriff auf die Frau. Der Mann am anderen Ende der Leitung hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen, und meinte dann: »Ich kümmere mich um die Polizei.«
Sie redeten noch ein paar Minuten, dann legte Frye auf. Als er aus der Zelle trat, sah er sich argwöhnisch in der Dunkelheit und dem wallenden Nebel um. Katherine konnte ihm unmöglich gefolgt sein, dennoch verspürte er eine Angst, sie könnte ihm dort draußen in der Düsternis auflauern. Er als großer, hünenhafter Mann hätte vor einer Frau keine Angst haben dürfen. Trotzdem fürchtete er sich vor dieser einen, die nicht sterben wollte, der, die sich jetzt Hilary Thomas nannte. Er ging zurück zu seinem Kombi und saß ein paar Minuten hinter dem Steuer, bis ihm klar wurde, daß er Hunger verspürte, ja am Verhungern war. Sein Magen knurrte. Er hatte seit dem Lunch nichts mehr zu sich genommen. Er kannte sich in Marina Del Rey gut genug aus, um zu wissen, daß es in der näheren Umgebung kein passendes Lokal gab. Also fuhr er auf dem Pacific Coast Highway in südlicher Richtung zum Culver Boulevard, weiter nach Westen und wieder nach Süden, auf den Vista Del Mar. Er mußte langsam fahren, denn der Nebel lastete schwer auf der Straße; die Scheinwerferbalken des Kombis wurden zu ihm zurückgeworfen; die Sicht beschränkte sich auf zehn Meter und er hatte ein Gefühl, als bewege er sich unter Wasser, in trüber, phosphoreszierender See. Fast zwanzig Minuten nach seinem Telefonat mit Napa County (etwa um die Zeit, da Sheriff Laurenski sich im Auftrag der Polizei von Los Angeles dort oben um den Fall kümmerte) fand Frye ein interessantes Restaurant am Nordrand von El Segundo. Die roten und gelben Neonbuchstaben bohrten sich durch den Nebel: GARRIDO'S. Ein mexikanisches Lokal, aber keine jener Norte-Americano-Kneipen aus Chrom und Glas, die nachgemachte Comida servierten, sondern ein echtes mexikanisches Restaurant. Er bog von der Straße ab und parkte zwischen zwei aufgemotzten Wagen, die bei jungen Chicano-Fahrern so beliebt waren. Auf seinem Weg zum Eingang kam er an einem Wagen vorbei, dessen Stoßstange den Aufkleber CHICANO POWER trug. Ein anderer Aufkleber forderte alle auf: UNTERSTÜTZT DIE FARMARBEITER-GEWERKSCHAFT. Frye konnte die Enchiladas bereits riechen. Drinnen glich Garrido's eher einer Bar als einem Restaurant, aber die stickige warme Luft trug all die Gerüche der guten mexikanischen Küche. Zur Linken erstreckte sich eine mit Flecken und zahlreichen Narben bedeckte hölzerne Theke über die ganze Länge des großen, rechtwinkligen Saales. Etwa ein Dutzend dunkelhaariger Männer und zwei reizende junge Senoritas saßen auf Barhockern oder lehnten an der Theke; die meisten von ihnen schnatterten in Stakkato-Spanisch miteinander. In der Mitte des Raumes, parallel zur Theke, standen zwölf Tische mit roten Tischtüchern in einer Reihe. Sämtliche Tische waren von lachenden und trinkenden Männern und Frauen besetzt. Rechts in der Wand gab es Nischen mit roter Polsterung aus
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