Flüstern in der Nacht
bewachte das Haus. Er parkte den Dodge zwischen zwei Volvos zwei Querstraßen weiter und ging dann durch Tümpel nebliger Dunkelheit, durch fahle Kreise dunstigen Lichtes um die Straßenlaternen zum Haus zurück. Als er über den Rasen trottete, quietschten seine Schuhe im taufeuchten Gras, ein Geräusch, das ihm die ätherische Stille der Nacht erst so richtig bewußt machte. Am Haus angelangt, duckte er sich neben einem Oleanderbusch und schaute sich um. Kein ausgelöster Alarm – niemand war ihm gefolgt.
Er setzte seinen Weg zum hinteren Teil des Hauses fort und kletterte über ein abgesperrtes Tor. Im Hinterhof blickte er an der Hauswand nach oben und entdeckte im ersten Stock ein kleines Lichtviereck. Aufgrund der Größe mußte es sich wohl um ein Badezimmerfenster handeln; die größeren Glasscheiben rechts zeigten am Rand der Gardinen unbestimmte Lichtspuren. Sie befand sich also dort oben. Er war sich ganz sicher. Er konnte sie fühlen. Sie riechen. Das Miststück.
Sie wartete darauf, daß man sie hernahm und mißbrauchte. Wartete darauf, getötet zu werden. Wartete darauf, mich zu töten? fragte er sich. Er erschauderte. Er wollte sie haben; seine Gier erregte ihn; gleichzeitig hatte er aber Angst vor ihr. Bisher war sie immer leicht gestorben, war stets in einem neuen Körper von den Toten zurückgekehrt, als neue Frau; aber jedesmal starb sie, ohne sich sonderlich zu wehren. In dieser Nacht hatte sich Katherine als wahre Tigerin gezeigt, erschütternd stark, schlau und furchtlos. Diese neue Entwicklung an ihr gefiel ihm gar nicht.
Trotzdem mußte er zur ihr, mußte sie von einer Reinkarnation zur nächsten verfolgen, sie immer wieder töten, bis sie schließlich tot bliebe; dann würde er endlich Frieden haben. Er unternahm gar nicht erst den Versuch, die Küchentür mit den Schlüsseln aufzusperren, die er ihr damals auf dem Weingut aus ihrer Handtasche gestohlen hatte. Wahrscheinlich waren neue Schlösser eingebaut. Und selbst wenn sie diese Vorsichtsmaßnahme nicht ergriffen hätte, so würde er nicht durch die Tür hereinkommen. Dienstagnacht, als er zum ersten Mal versucht hatte, in das Haus einzudringen, war sie zu Hause gewesen; und er mußte damals feststellen, daß eines der Schlösser sich mit dem entsprechenden Schlüssel nicht öffnen ließ, wenn es von innen abgesperrt war. Das obere Schloß ging widerstandslos auf, aber das untere war nur dann zu öffnen, wenn man es von draußen abgesperrt hatte. Am Dienstag war er nicht in das Haus eingedrungen, sondern in der folgenden Nacht noch einmal gekommen, am Mittwochabend, vor ziemlich genau acht Stunden, als sie beim Abendessen war und er seine beiden Schlüssel benützen konnte. Aber jetzt befand sie sich drinnen, und auch wenn sie die Schlösser vielleicht nicht hatte austauschen lassen, so war doch ein spezieller Riegel von innen vorgelegt, der ihn am Zutritt hinderte, ganz gleich, wie viele Schlüssel er auch besaß. Er ging weiter bis zur Hausecke, an der sich ein großes, in einzelne Glasfelder aufgeteiltes Fenster zum Rosengarten hin befand. Dünne Streifen aus dunkel lackiertem Holz trennten die zahlreichen, etwa fünfzehn Zentimeter im Quadrat messenden Scheiben voneinander. Das Arbeitszimmer mit seinen Bücherwänden lag auf der anderen Seite. Er holte seine Taschenlampe heraus, knipste sie an und leuchtete mit dem dünnen Lichtstrahl durchs Fenster. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er den Fenstersims und die weniger gut sichtbare waagerechte Rahmenleiste in der Mitte ab, bis er den Riegel gefunden hatte, und schaltete dann die Taschenlampe wieder aus. Er trug eine Rolle Heftpflaster bei sich, riß jetzt Streifen davon ab und klebte die kleine Scheibe neben dem Schloß damit zu. Als die quadratische Scheibe völlig bedeckt war, schlug er sie mit der behandschuhten Hand ein: ein heftiger Schlag. Das
Glas zersplitterte fast lautlos und fiel nicht auf den Boden, weil es an dem Klebeband hängen blieb. Er griff hinein und entriegelte das Fenster, schob es in die Höhe, stemmte sich selbst hinauf und kletterte über den Sims. Beinahe hätte er Lärm verursacht, indem er an einen kleinen Tisch stieß, der fast umgefallen wäre. Jetzt stand Frye mitten im Arbeitszimmer, und sein Herz schlug wie wild; er lauschte im Haus, vielleicht hatte sie ihn gehört.
Aber es herrschte totales Schweigen. Sie konnte von den Toten auferstehen, in einer neuen Identität ins Leben zurückkehren; doch weiter schienen ihre übernatürlichen Kräfte ganz
Weitere Kostenlose Bücher