Flüstern in der Nacht
ging mit zwei Schritten durch den Korridor und setzte sich mit dem Rücken zur Wand auf den Boden. Nach ein paar Minuten hörte er raschelnde Geräusche in der Finsternis, leise, trippelnde Geräusche.
Einbildung, sagte er sich. Die vertraute Angst.
Doch dann spürte er, wie etwas an seinem Bein hochkroch, unter seine Hosenbeine. In Wirklichkeit ist da nichts, sagte er sich. Etwas schlüpfte unter einen Ärmel und kroch an seinem Arm nach oben, etwas Scheußliches, nicht Identifizierbares. Dann rannte etwas über seine Schulter, an seinem Hals hinauf, über sein Gesicht, etwas Kleines, Tödliches. Es wollte zu seinem Mund. Er preßte die Lippen zusammen. Es wollte zu seinen Augen. Er drückte die Augen zu. Es wollte in seine Nase; er wischte sich verzweifelt über das Gesicht, aber er konnte nichts finden, es nicht wegjagen. Nein! Er knipste die Taschenlampe an. Er war das einzige Lebewesen im Korridor.
Da war nichts, was sich unter seinen Hosenbeinen bewegte.
Nichts in seinem Ärmel. Nichts auf seinem Gesicht.
Er schauderte.
Er machte die Taschenlampe nicht wieder aus.
Am Donnerstag um neun Uhr weckte Hilary das Klingeln des Telefons. Es stand ein Apparat im Gästezimmer, dessen Klingel versehentlich auf höchste Lautstärke eingestellt war. Wahrscheinlich von der Reinigungsfirma, die sie beschäftigte. Das schrille Klingeln riß Hilary aus dem Schlaf und ließ sie erschreckt hochfahren.
Es war Wally Topelis. Er hatte beim Frühstück in der Zeitung von dem Überfall gelesen, war schockiert und besorgt zugleich.
Ehe sie ihm weitere Einzelheiten erzählen wollte, ließ sie sich den Artikel vorlesen. Sie erfuhr, daß er, mit einem kleinen Bild versehen, auf zwei kurzen Spalten auf der sechsten Seite stand und war sichtlich erleichtert. Der Bericht baute einzig und allein auf den wenigen Informationen auf, die sie und Lieutenant Clemenza in der vergangenen Nacht den Reportern gaben. Bruno Frye wurde nicht erwähnt – auch nicht Detective Howards Überzeugung, sie sei eine Lügnerin. Die Presse kam im genau richtigen Augenblick und ging rechtzeitig wieder, hatte also genau das verpaßt, was die Story mit Sicherheit wenigstens ein paar Seiten näher ans Titelblatt herangerückt hätte.
Sie erzählte Wally alles; er war empört. »Dieser blöde, verdammte Bulle! Wenn er sich auch nur die geringste Mühe gemacht hätte, mehr über dich als Mensch herauszufinden, dann hätte er gemerkt, daß du dir eine solche Geschichte unmöglich aus den Fingern saugen könntest. Hör' zu, Kleines, ich erledige das. Mach' dir keine Sorgen. Ich werde da ein wenig Dampf machen.« »Wie denn?«
»Ich werde ein paar Leute anrufen.« »Wen?«
»Den Polizeichef beispielsweise – wie wär' das?« »Oh, fein.«
»He, bei dem hab' ich einiges gut«, meinte Wally. »Wer hat denn die letzten fünf Jahre immer die Wohl-tätigkeitsveranstaltungen der Polizei organisiert? Und wer hat dafür gesorgt, daß die größten Hollywoodstars gratis dort auftraten? Und wer hat Sänger, Komiker, Schauspieler und Zauberkünstler gratis für den Polizeifonds herbeigeschafft?« »Du etwa?«
»Da hast du verdammt recht, ich war das.« »Aber was kann er machen?« »Er kann dafür sorgen, daß dieser Fall noch einmal untersucht wird.«
»Wenn einer seiner Leute es auf seinen Eid nimmt, daß das Ganze Schwindel war?«
»Dann hat der Betreffende einen Dachschaden.« »Ich habe das Gefühl, dieser Frank Howard ist im Präsidium recht gut angeschrieben«, meinte sie.
»Dann taugt ihr Bewertungsverfahren zur Einstufung der Leute keinen Deut. Ihre Maßstäbe sind entweder zu niedrig angesetzt oder völlig subjektiv.«
»Es dürfte dir ziemlich schwerfallen, den Polizeichef zu überzeugen.«
»Ich kann recht überzeugend wirken, Lämmchen.« »Selbst wenn er in deiner Schuld steht – wie kann er eine neue Untersuchung des Falles anordnen, ohne neues Beweismaterial zu haben? Auch als oberster Chef muß er sich wohl an die Vorschriften halten.«
»Hör zu. Er kann wenigstens mit dem Sheriff in Napa County ein Wörtchen reden.«
»Und Sheriff Laurenski wird dem Polizeichef dieselbe Story erzählen, die er letzte Nacht verbreitet hat. Er wird sagen, Frye saß zu Hause und hat Plätzchen gebacken oder so etwas.« »Dann ist der Sheriff eben ein unfähiger Trottel, der einfach glaubte, was irgend jemand in Fryes Haus ihm weisgemacht hat. Oder er lügt. Vielleicht steckt er möglicherweise mit Frye unter einer Decke.«
»Wenn du dem Polizeichef das
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