Fluesterndes Gold
auf Nick. »Nervt er dich?«
»Ich weiß es nicht«, antworte ich ehrlich und löse mich von ihm.
Ians Miene verkrampft sich, »Ignoriere ihn, ja? Er ist ein Trottel mit einem Polizisten-Komplex.«
»Polizisten-Komplex?«
»Glaubt, dass er alles weiß. Glaubt, dass er besser ist als alle anderen. Aber das stimmt nicht. Er ist nur ein großer Rowdy, der rennen kann. Seit Devyns Unfall spinnt er, und jetzt ist letzte Woche auch noch dieser Junge weggelaufen, und Nick redet nur noch davon, dass ›ein Serienmörder am Werk sein könnte‹. Ich wette, dass er einfach viel zu viele Krimis anschaut. Kein Wunder, dass seine Eltern abgehauen sind.«
»Abgehauen?«
»Angeblich beim Fotografieren. Sie drehen Naturfilme. Ich weiß es nicht. Dein T-Shirt gefällt mir.«
Ich schaue auf mein U2-T-Shirt hinunter. Schweißflecken verunzieren das helle Grau, und es sieht nach dem harten Rennen ganz zerknittert und abgetragen aus. Der Titel des alten Albums War löst sich langsam ab. Ich muss dauernd an Nick denken. »Er wirkt so … ich weiß nicht … angespannt.«
Ian hält mich an den Schultern fest. Die Menschen in Maine reagieren alle immer viel zu heftig. Ich versuche zurückzuweichen. Seine Finger schließen sich fester und halten dagegen.
»Zara, ignorier ihn einfach«, wiederholt er. Sein Griff lockert sich, und er schnippt einen Fussel von meiner Schulter. »Er ist ein Trottel. Okay?«
Nick steht neben Devyn. Er klopft mit dem Fuß gegen das Rad an Devyns Rollstuhl. Unsere Blicke treffen sich.
»Okay«, sage ich zu Ian.
Aber ich weiß, dass ich lüge.
Ich weiß, dass ich mich nicht von ihm fernhalten will.
Der Rest des Morgens läuft gut, sofern der erste Tag in einer neuen Schule überhaupt läuft. Ich werde dauernd angestarrt, und man flüstert über mich. Issie versucht mir zu erklären, wer wer ist, aber die Namen und die Geschichten zu den Namen bleiben nicht haften. Ich kann mir nichts merken.
»Ist der blonde Typ Jay Dahlberg?«, frage ich Issie auf der Treppe hinunter zur Cafeteria.
»Nein, das ist Paul Rasku. Das ist der Typ, der die Kürbisbomben baut«, erklärt Issie zum achthundertsten Mal. »Jay Dahlberg ist der Skater, der aus einer über zwanzig Meter langen Papprolle diese Sound-Kanone gebastelt hat. Echt super-cool. Er trompetet sich damit durch Basketball-und Fußballspiele und so.«
»Ich geb’s auf.«
»Du wirst es schon noch lernen«, versichert Issie mir.
Ich kann es nicht glauben, dass ich jetzt hier lebe.
Aber Issie ist schrecklich lieb. Sie und Devyn setzen sich beim Mittagessen zu mir. Da ich genügend Teenie-Filme gesehen habe, war die »Neue Schülerin allein in der Mensa«-Kiste meine größte Sorge gewesen.
Eigentlich bin ich ziemlich zufrieden.
Ich beiße in mein vegetarisches Sandwich und schaue in Devyns glückliche Miene. »Ihr wohnt also schon immer in Maine?«
Devyn nickt. »Jep. Nur Issie ist von Portland hergezogen.«
»In der ersten Klasse«, erinnere ich mich.
Issie lacht und zeigt mit ihrem Karottenstick auf Devyn: »Ich hab’s ihr schon erzählt.«
Sie reißt gähnend den Mund auf – so weit, dass ich ihre Mandeln sehen kann – und hebt die Arme hoch über den Kopf.
Devyn streckt den Arm aus und hält seine Hand vor Issies Mund, solange sie gähnt. »Ich frage mich, wo Nick steckt?«
Wahrscheinlich habe ich ein erschrockenes Gesicht gemacht, denn Devyn erklärt: »Nick ist cool. Er hat nur dieses komische Beschützersyndrom.«
Ich klappe mein Sandwich auf. Der Salat klebt schlaff an dem Brot. Ich klappe die Brothälften wieder aufeinander und drehe den Faden an meinem Finger.
»Gibt es hier eine Ortsgruppe von Amnesty International?«, frage ich, um das Thema zu wechseln. Ich wische mir den Mund ab und zupfe eine Gurke aus meinem Sandwich.
»Ich wollte schon immer eine Amnesty-Ortsgruppe. Bist du bei Amnesty?« Issie ist auf einmal wieder voll da. Sie hatte auf ihre Pizza-Ecke gestarrt und die Salamischeiben heruntergesammelt. Devyn schaufelt sie von ihrem Teller und verschlingt sie. Sie lächelt ihn an: »Das macht er immer. Er hat’s mit Proteinen. Er isst sogar rohes Fleisch.«
»So was wie Sushi?«, frage ich.
»Ja, wie Sushi …« Issies Stimme verstummt
»Es gibt Menschen, die haben Angst vor Fisch. Ichthyophobie heißt diese Angst«, sage ich und schlage die Hand vor den Mund. Eigentlich möchte ich keine unnützen Phobie-Informationen unter die Leute bringen, aber Devyn kennt sich aus.
»Na ja, besser als Ideophobie«, sagt er.
Meine
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