Fluesterndes Gold
schüttle den Kopf. »Nein, natürlich nicht, und ja, natürlich fahren wir zusammen, gut für unsere CO2-Bilanz und so.«
Das Wissen, dass ich zusammen mit Nick in der Bibliothek sein werde, sorgt aus irgendeinem Grund dafür, dass sich in meinem Magen ein Knoten bildet. Und das liegt nicht daran, dass der Keks verdorben war. Der Knoten wird langsam zum vertrauten Gefühl. Es ist Angst.
Dieser Staub auf seiner Jacke? Muss nicht unbedingt was bedeuten, oder? Und dass in meinem Innern alles vollkommen aus dem Lot gerät und sich komisch anfühlt, wenn ich ihm in die Augen schaue. Das bedeutet auch nichts.
Bibliotheken, besonders alte, haben etwas an sich, das sie einem fast heilig erscheinen lässt. Ein muffiger Geruch nach Papier und Bindemittel hängt in der Luft. Als ob alle Bücher gegen ihren Verfall ankämpfen würden, als ob sie sich dagegen auflehnten, zu Staub zu zerfallen. Aber zugleich kämpfen sie um Aufmerksamkeit.
Ich berühre den Rücken eines Buches. »Wahrscheinlich schreien sie alle ›Lies mich! Lies mich‹.«
Nick dreht sich um und schaut mich an. »Die Bücher?«
»Als ob sie einsam wären«, sage ich und zucke bewusst mit den Achseln, damit er nicht denkt, ich sei völlig durchgeknallt.
»Bücher fühlen sich also einsam«, wiederholt er, aber er schaut mich nicht mehr an, sondern überfliegt die Buchtitel über seinem Kopf.
»Was?«
»Das ist süß.«
Ich bin süß. Mein Herz hopst, und ich beiße mich ein bisschen auf die Lippe. Süß wie ein Lutscher oder süß wie ein Mädchen, das du gern zwischen den Bibliotheksregalen leidenschaftlich küssen würdest? Das ist die Frage.
Ich geh in die Hocke, damit ich die Signaturen besser lesen kann. »Hab was.«
Nick hockt sich neben mich und pfeift leise: »Wow.«
Wir ziehen die Bücher heraus: Elfenwissen, Elfenzauber, Eine Enzyklopädie der Elfen.
Nick trägt fast alle Bücher zu dem hinteren Tisch neben einem großen Erkerfenster. In der Sonne wirbeln Staubpartikel auf. Devyn und Issie sehen fast aus wie verzauberte Märchenbuchhelden.
»Seid ihr fündig geworden?«, fragt Issie ein bisschen zu laut.
Ein Typ bei den Zeitschriften macht »pst« in ihre Richtung.
»’tschuldigung. ’tschuldigung!« Sie hebt entschuldigend die Hand und sagt dann im Flüsterton zu uns. »So ein Meckerfritze. Wir haben auch was gefunden. Nicht wahr, Devyn?«
Devyn nickt schweigend und liest einfach weiter in dem Buch, das er sich rausgesucht hat. Es ist alt und stinkt. Ich niese und setze mich auf einen Stuhl. Nick schnappt sich den Stuhl neben mir. Er teilt unseren Bücherstapel in zwei Hälften und schiebt mir drei Bücher hin. »Hau rein.«
Und ich haue rein.
Wir lesen und lesen und lesen, aber auf einmal sagt Nick: »Ich hab was.«
Ich schniefe. »Was?«
Issie reicht mir ein zerknittertes Tempo, das sie aus ihrer Tasche gezogen hat. »Es ist sauber.«
»Danke.« Ich putze mir die Nase. »Tut mir leid, aber ich bin allergisch.«
»Gegen Bücher?« Devyn zieht ungläubig die Augenbrauen hoch.
»Gegen alte Bücher«, erkläre ich und beuge mich weiter vor, damit ich das Buch besser sehen kann, das aufgeschlagen vor Nick liegt. »Was hast du gefunden?«
»Was über die Tribute.« Nick knurrt fast. »Es ist abscheulich.«
»Lies es einfach vor«, bittet Devyn.
»Leise.« Issie schaut hinüber zu dem Zeitschriftenmann, der eine Ausgabe des Economist durchblättert und uns zornig anschaut.
Nick senkt die Stimme und liest: »›Sie werden von einem Elf gejagt?‹«
»Das steht da nicht«, quiekt Issie und entreißt Nick das Buch. »Oh mein Gott, doch, es steht da.«
»Issie …«, mahne ich, während ich mich vergewissere, ob Nick sauer ist. Er ist es nicht. »Das steht nicht wirklich da.«
»Doch!« Sie reicht mir das Buch und zeigt auf die Stelle.
»Für alle Lichtgestalten – Elfen, Feen, Kobolde – gilt, dass die Erhaltung der fürstlichen Blutlinie wesentlich ist für ihr Überleben. Sie alle tragen das Erbe der Sidhé in sich. Ihr Name leitet sich von den Pict-Sidhé her. Sie heißen auch Caille Daouine oder Waldvolk. Wenn du von einem männlichen Vertreter ihrer Rasse ausgewählt worden bist, sei stolz, denn du sollst helfen, die Blutlinie fortzusetzen. Normalerweise passiert das nicht, schon gar nicht einem Menschen. Möglicherweise fließt Sidhé-Blut durch deine Adern.« Ich klappe das Buch zu. »Ach, ich fühle mich geehrt.«
»Das ist unheimlich und seltsam«, sagt Devyn und schaut mich an, als hätte er mich nie zuvor
Weitere Kostenlose Bücher