Fluesterndes Gold
verfangen sich in tief hängenden Zweigen, meine Füße halten mich irgendwie aufrecht, der Schmerz in meinem Kopf pocht.
Ich höre den Hund.
Ich folge ihm, komme näher und näher an ihn heran, bis ich auf einmal dem Wald entkommen bin und in unserem Vorgarten stehe.
Ich recke die Faust in den Himmel und ich würde den Boden küssen, wenn er nicht so verdammt schneebedeckt wäre. Ich hab’s geschafft. Ich hab’s geschafft. Ich hab’s geschafft!
Ein Hoch auf mich!
Ein Hoch auf alle Hunde!
Ich führe einen kleinen Freudentanz auf, der jedem Fußballspieler zur Ehre gereicht hätte. Juhu.
Dann schaue ich mich um. Auf der vorderen Veranda brennt noch immer Licht, Grandma Bettys Pick-up steht noch immer nicht da und der Mini parkt noch immer schneebedeckt in der Einfahrt. Keine Fußspuren stören.
Der Mut verlässt mich. Ich schlucke und drehe mich vorsichtig um. Vielleicht entdecke ich irgendwo den Mann, der zu der Stimme gehört, die meinen Namen kennt.
Aber ich sehe nur Bäume.
»Nick?«
Sein Name hallt in der schneeerfüllten Luft wider wie eine besorgte Frage. Ich stapfe durch den Schnee, einen Schritt, dann den nächsten. Meine Laufschuhe sind völlig durchnässt. Hatte ich bislang gar nicht bemerkt. Ich schiebe sorgenvolle Gedanken über abgefrorene Zehen beiseite. Warum ist Nick noch nicht zurück?
»Nick?«
Zu meiner Rechten nehme ich eine Bewegung wahr und wirble mit erhobenem Schürhaken herum, bereit zu treten, zu stoßen, zuzuschlagen, wegzurennen. Aber es ist nicht der Psychotyp. Hinter Nicks Mini kommt der größte Hund hervor, den ich je gesehen habe. Er ist schlanker als ein Bernhardiner, aber größer und muskulöser. Sein braunes Fell erinnert an einen Wolf, aber Wölfe sind nicht so groß. Oder? Nein. Auf keinen Fall.
Vielleicht ist das der Hund, der mich heimgelotst hat, mein Retter.
Ich strecke die Hand aus. Der Hund dreht den Kopf und schaut mich direkt an. Seine wunderschönen, blanken Augen liegen tief in seinem schneebedeckten Fell.
»Na, Hundchen?«, sage ich. »Komm her, Süßer. Weißt du, wo Nick ist?«
In diesem Augenblick entdecke ich den Pfeil, der tief in seiner Schulter steckt. Blut ist aus der Wunde herausgesickert und an seinem Fell herabgetropft. Wo der Pfeil eingedrungen ist, hat sich schon ein bisschen Schorf gebildet. Wer zur Hölle schießt mit einem Pfeil auf einen Hund? Heiße Wut steigt in mir auf, und ich beiße die Zähne zusammen, um sie niederzuhalten und wegzuschieben. Dann winselt der Hund, und die ganze Wut verwandelt sich in etwas anderes.
»Ach, du Armer«, sage ich und stürze zu ihm, ohne einen einzigen Gedanken an seine Größe zu verlieren oder daran, dass er wahrscheinlich ein Wolf ist. Ich lasse mich vor ihm im Schnee auf die Knie plumpsen.
»Tut es sehr weh?«
Der Hund/Wolf schnuppert an meiner Hand. Ich kraule seine Schnauze und schaue ihm in die Augen. Ich bin total verliebt in dieses Hündchen. Er bewegt die Schulter, als würde er mit der Achsel zucken, aber der Pfeil scheint ihm große Schmerzen zu machen, denn er lässt ein lautes, heftiges Stöhnen vernehmen. Der arme Kerl.
Meine kalten Finger streicheln ihn unter dem Kinn. Er ist so warm dort.
»Wir müssen dich ins Warme bringen«, sage ich, stehe auf, klopfe an meinen Oberschenkel und hoffe, dass er mich versteht. »Komm.«
Ich gehe langsam auf das Haus zu und vergewissere mich durch einen Blick über die Schulter, dass der Hund/Wolf irgendwann mal abgerichtet wurde und mir folgt. Könnte ja sein, oder?
Ich klopfe mir auf die Brust und sage noch einmal: »Komm.«
Mit einer kraftvollen und zugleich anmutigen Drehung des Kopfes schaut er zu mir auf. Unsere Blicke treffen sich. Ich kann nicht genau sagen, was ich sehe. Etwas Wildes? Etwas Starkes? Etwas sehr Intelligentes? Oh Gott …
»Ich will dir nur helfen«, sagte ich mit sanfter Stimme. Ich ziehe die Ärmel über meine Hände, die ganz gefühllos sind von dem Schnee und der Kälte.
»Bitte, komm ins Haus. Ich ziehe den Pfeil raus. Ich sorge dafür, dass du es warm hast. Lass mich dich retten.«
Meine Augen fixieren den Hund, dann wenden sie sich ab und betrachten den dicht fallenden Schnee und Nicks Auto. Meine Stimme gerät wieder ins Stocken.
»Und dann rufe ich meine Gram an und gehe noch mal raus und suche Nick. Das ist der Typ, dem der Mini gehört«, erkläre ich.
Der Hund legt den Kopf schief, als ich Nicks Namen ausspreche.
In meinem Herzen flackert eine alberne Hoffnung auf. »Hast du ihn gesehen? Hast du
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