Fluesterndes Gold
Nick gesehen?«
Der Hund verhält sich nicht gerade wie Lassie, aber sein Schwanz bewegt sich schwach, als ob er wedeln wollte, sich aber nicht ganz darauf festlegen könnte. Natürlich antwortet der Hund nicht. Ich hab sie wohl nicht mehr alle. Als ob ich tatsächlich an Werwölfe und Elfen glaube. Als ob etwas tief in meinem Innern, ganz tief drinnen, schon immer an Werwölfe und Elfen geglaubt hat. Und dieser Glaube hat sich jetzt endlich Bahn gebrochen, auch wenn ich versucht habe, ihn zurückzudrängen.
Ich zeige auf die Tür und sage: »Dort hinein, los.«
Der Hund legt die Ohren flach an den Kopf. Seine Muskeln zucken und dann springt er mit einem Satz an mir vorbei auf die Veranda. Als seine Vorderpfoten den Verandaboden berühren, jault er auf. Ich begreife das nicht. Er ist mindestens zehn Meter weit gesprungen. Wie ist das möglich? Ich steige mühsam die Treppen hinauf und lege dem Hund zögernd die Hand auf den Kopf.
»Also gut, Süßer«, sage ich, während ich mit der Schulter die Vordertür aufstoße. »Dann verbinden wir dich mal.«
Im Haus ist es einladend warm, und der Hund erscheint mir schrecklich fehl am Platz, wie er tropfend in der Kälte bei der Eingangstür steht. Ich streife die nassen Schuhe ab, schnappe mir eine Decke von der Couch und werfe sie ihm über.
»Okay«, sage ich, indem ich mit ausgebreiteten Händen rückwärts gehe und versuche, mir etwas einfallen zu lassen. »Du wärmst dich auf. Okay? Ich rufe einen Tierarzt an.«
Im anderen Zimmer schnappe ich mir das Telefon und das Telefonbuch und gehe wieder zurück an die Eingangstür, wo der Hund zusammengesackt ist. Ich setze mich neben ihn. Er legt seinen Kopf in meinen Schoß. Ich beuge mich hinunter und küsse ihn auf die Nase. Sie ist schwarz und trocken. Er zittert.
»Ach, Hundchen, es wird alles gut werden«, murmle ich, während ich im Telefonbuch blättere. Nur ein Tierarzt ist aufgeführt, aber er hat eine Notfallnummer. Ich wähle sie.
Ein irritierender Ton dringt durch den Hörer: »Die Nummer, die Sie gewählt haben, ist nicht vollständig.«
Ich hänge auf. Eigentlich werfe ich das Telefon auf den Boden, denn ich lasse meinen Zorn an unbelebten Dingen aus. Das ist besser, als ihn an Menschen auszulassen, oder?
Ich atme ein, versuche, mich zu beruhigen und nachzudenken. Ich habe also die falsche Nummer gewählt. Das passiert mir manchmal, ich verdrehe die Zahlen. Ich versuche es noch einmal und höre dieselbe verdammte Bandaufnahme.
»Die Nummer, die Sie gewählt haben, ist nicht vollständig«, sagt die Computerstimme in herablassendem Ton. Wie kann etwas, das nicht lebendig ist, so herablassend sein? Keine Ahnung. Aber es ist so.
Der Hund winselt, als ich wieder auflege. Ich hake das Telefon ab und untersuche den Pfeil, der aus seinem süßen Hundekörper ragt. Er ist aus schwarzem Holz gearbeitet und in den schmalen Schaft sind grüne Blätter eingeritzt. Er wäre wunderschön, wenn er nicht in Fleisch und Muskeln steckte.
»Wer hat dir das angetan?«, flüstere ich.
Heißer Atem strömt aus der Schnauze des Hundes, als würde er antworten. Er hat Schmerzen. Starke Schmerzen. Unruhe überfällt mich und putscht mich auf, als hätte ich acht Tassen Espresso getrunken. Ich reibe mir den Kopf. Denk nach, Zara, denk nach. Ich vergrabe meine Hände in seinem Fell.
Die Antwort kommt.
»Ich rufe meine Großmutter an«, sage ich zu ihm. »Betty weiß, was zu tun ist. Sie ist sehr praktisch veranlagt. Du würdest sie mögen.«
Ich drücke die Nummer ihres Handys, was ich eigentlich nicht tun soll. Ich soll Josie anrufen. Aber das hier ist ein Notfall, und erstaunlicherweise geht sie sogar dran.
»Gram, hier ist ein Hund. Er ist verletzt. Jemand hat mit einem Pfeil auf ihn geschossen. Ich hab beim Tierarzt angerufen, komme aber nicht durch. Und ich kann Nick nicht finden, aber sein Mini steht hier. Du musst nach Hause kommen«, sprudelt es aus mir heraus.
»Zara, immer mit der Ruhe, Liebes.« Ihre Stimme kommt ganz ruhig durch das Telefon. »Erzähl mir das noch einmal.«
Ich erzähle noch einmal. Während ich spreche, schmiegt der Hund seinen süßen Hundekopf in meinen Schoß. Er zittert. Oh Gott.
»Er zittert«, berichte ich ihr.
Sein Atem geht immer schneller und flacher. Seine Augen blicken vertrauensvoll zu mir herauf. Er vertraut, dass ich ihn rette. Einen Wimpernschlag lang bin ich wieder bei dem Augenblick, als das Herz meines Dads aussetzte, als er sich an die Brust griff und zusammengekrümmt
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