Flug 2039
nach dem Piepton.«
Ich sage, dieser verrückte Irre, von dem sie mir erzählt hat, der hat angerufen.
Die ganze Nacht lang rufe ich alle zehn Minuten bei ihr an.
Bitte sprechen Sie nach dem Piepton.
Sie muss mir irgendeinen Schutz organisieren.
Und jedes Mal unterbricht mich ihr Anrufbeantworter. Aber ich versuche es immer wieder.
Bitte sprechen Sie.
Ich brauche rund um die Uhr bewaffneten Polizeischutz.
Bitte sprechen Sie.
Ich muss dringend auf die Toilette, aber es könnte ja jemand draußen auf dem Flur sein.
Bitte sprechen Sie.
Der Killer, von dem sie mir erzählt hat, weiß, wer ich bin. Er hat angerufen. Er weiß, wo ich wohne. Er hat meine Telefonnummer.
Bitte sprechen Sie.
Rufen Sie mich an. Rufen Sie mich an. Rufen Sie mich an.
Bitte sprechen Sie.
Falls ich hier morgen früh als Selbstmordleiche liege, war es Mord.
Bitte sprechen Sie.
Sollte ein Mörder meinen Kopf in den Backofen stecken und mich töten, dann nur deshalb, weil sie nie ihren Anrufbeantworter abhört.
Bitte sprechen Sie.
Echt, sage ich dem Apparat. Die Lage ist wirklich ernst. Ich habe keine Wahnvorstellungen. Davon hat sie mich doch geheilt. Schon vergessen?
Bitte sprechen Sie.
Das sind keine schizoiden Hirngespinste. Keine Halluzinationen. Das können Sie mir glauben.
Bitte sprechen Sie. Und dann ist die Kassette voll.
Die ganze Nacht bin ich wach und horche. Ich habe den Kühlschrank vor die Eingangstür geschoben. Ich muss dringend auf die Toilette, aber nicht so dringend, dass ich dafür mein Leben riskieren würde. Leute gehen durch den Flur, aber niemand bleibt stehen. Niemand berührt den Türknauf. Immerzu klingelt das Telefon, und ich muss jedes Mal rangehen, weil es ja die Sozialarbeiterin sein könnte, aber nie ist sie es. Nur die übliche Prozession menschlichen Elends. Unverheiratete Schwangere. Chronisch Kranke. Drogenabhängige. Die müssen ihre Beichten ziemlich schnell runterbeten, damit ich wieder auflegen kann. Ich muss die Leitung freihalten.
Jeder dieser Anrufe erfüllt mich mit Freude und Schrecken zugleich, könnte es doch die Sozialarbeiterin oder aber der Killer sein.
Annäherung oder Vermeidung.
Positive und negative Bestärkung, ans Telefon zu gehen.
Mitten in meine Panik hinein ruft Fertility an. »Hi, ich bin’s«, sagt sie. »Ich habe die ganze Woche an dich gedacht. Wollte nur fragen, ob es gegen die Regeln verstößt, wenn wir uns sehen. Ich möchte dich wirklich ganz gern einmal sehen.«
Ich horche auf Schritte, rechne jederzeit damit, dass ein Schatten das Licht unter der Tür verdunkelt, spähe durch die Jalousie, ob draußen jemand auf der Feuertreppe ist. Ich frage sie, was denn mit ihrem Freund ist. Hatte sie sich nicht heute mit ihm treffen wollen?
»Ach, der«, sagt Fertility. »Ja, den habe ich heute gesehen.«
Und?
»Der riecht nach Frauenparfüm und Haarspray«, sagt Fertility. »Verstehe nicht, was mein Bruder an dem gefunden hat.«
Das mit dem Parfüm und dem Haarspray kam lediglich vom Einsprühen der Rosen. Aber das sage ich ihr nicht.
»Außerdem hatte er Reste von rotem Nagellack auf den Fingernägeln.«
Das war die rote Sprühfarbe, mit der ich die Rosen aufpoliert habe.
»Zudem ist er ein ganz schlechter Tänzer.«
Mich jetzt auch noch zu töten, wäre überflüssig.
»Und er hat so komische Zähne, nicht verfault, aber ganz schief und winzig klein.«
Wer mir jetzt ein Messer ins Herz stechen würde, käme zu spät.
»Und er hat so grobe kleine Affenhände.«
Jetzt getötet zu werden, wäre ein Hoffnungsschimmer.
»Das heißt ja wohl auch, dass sein Schwanz bloß ein schlappes Würstchen ist.«
Wenn Fertility so weiterredet, hat meine Sozialarbeiterin morgen früh einen Klienten weniger.
»Fett ist er zwar nicht«, sagt Fertility. »Er ist kein Walross, aber mir ist er trotzdem zu dick.«
Ich ziehe die Jalousie hoch und stelle mich mit meinem groben fetten Körper ins Fenster, vielleicht lauert ja draußen ein Heckenschütze. Bitte, irgendwer mit einem Gewehr und Zielfernrohr. Erschieß mich, auf der Stelle. Mitten in mein dickes feistes Herz. Mitten in mein schlappes Würstchen.
»Er ist ganz anders als du«, sagt Fertility.
Oho, sie würde staunen, wie ähnlich wir uns sind.
»Du bist so geheimnisvoll.«
Ich frage: Wenn sie an diesem Typ aus dem Mausoleum nur eine einzige Sache ändern könnte – was wäre das?
»Dass er aufhört, mich zu belästigen«, sagt sie. »Sonst bringe ich ihn um.«
Nun, da ist sie nicht die Einzige. Nur zu.
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