Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flug 2039

Flug 2039

Titel: Flug 2039 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
Vom Netzwerk:
fünf:
    »Er hat seine bestimmte Zeit, die Zahl seiner Monde steht bei dir; du hast ein Ziel gesetzt, das wird er nicht überschreiten.«
    Das Ganze musste man nackt aufsagen.
    Psalm hunderteins, die Psalmen Davids, Vers zwei:
    »Ich handle vorsichtig und redlich … und wandle treulich in meinem Hause.«
    Man musste wissen, wie man die besten Staubtücher herstellt (Lappen in Terpentinlösung einweichen und zum Trocknen aufhängen). Man musste herausfinden, wie tief man einen zwei Meter hohen Torpfosten einzusetzen hat, damit er einen anderthalb Meter langen Torhaiken trägt. Ein anderer Kirchenältester verband einem die Augen, und dann musste man Stoffproben betasten und sagen, ob es sich um Baumwolle, Wolle oder eine Mischung aus Baumwolle und Synthetik handelte.
    Man musste Topfpflanzen bestimmen. Flecken. Insekten. Kleine Haushaltsgeräte reparieren. Elegante handschriftliche Einladungen verfassen.
    Was in den Tests drankommen könnte, schlossen wir aus dem, was wir in der Schule lernen mussten. Anderes erfuhren wir von Söhnen, die nicht allzu helle waren. Manchmal verriet auch ein Vater Insiderwissen, damit man etwas besser abschnitt und einen besseren Job bekam, statt ein ganzes Leben lang in Not und Elend zu verbringen. Freunde erzählten sich vieles gegenseitig, und am Ende wusste jeder alles.
    Niemand wollte seiner Familie Schande bereiten. Aber auch niemand wollte sein Leben lang Asbest abmontieren.
    Man musste sich auf Geheiß der Kirchenältesten an die Wand stellen und etwas von einer Tafel am anderen Ende des Saals ablesen.
    Die Kirchenältesten gaben einem Nadel und Faden und maßen dann die Zeit, die man zum Annähen eines Knopfs brauchte.
    Was für Jobs uns in der bösen Außenwelt erwarteten, schlossen wir aus dem, was die Ältesten uns sagten, entweder um uns Angst oder um uns Mut zu machen. Um unseren Fleiß anzuspornen, erzählten sie uns von wunderbaren Jobs in Gärten, die größer seien als alles, was wir uns diesseits des Himmels erträumen könnten. Es gebe auch Jobs in Palästen, deren riesige Ausmaße einen vergessen ließen, dass man sich in einem Haus befand. Die Gärten hießen Vergnügungsparks. Die Paläste Hotels.
    Damit wir noch fleißiger lernten, erzählten sie uns von Jobs, wo man jahrelang Jauchegruben auspumpen und Abfall verbrennen und Gift sprühen müsse. Asbest abmontieren. Es gebe so furchtbare Jobs, erzählten sie uns, dass wir mit Vergnügen in den Tod ziehen würden, um ihnen zu entrinnen.
    Es gebe so langweilige Jobs, dass man sich selbst verstümmeln würde, nur um nicht länger arbeiten zu müssen.
    Und daher lernte man während des letzten Jahrs in der Kirchenkolonie rund um die Uhr.
    Prediger, Kapitel zehn, Vers achtzehn:
    »Denn durch Faulheit sinken die Balken, und durch lässige Hände wird das Haus triefend.«
    Klagelieder, Kapitel fünf, Vers fünf:
    »Man treibt uns über Hals; und wenn wir schon müde sind, lässt man uns doch keine Ruhe.«
    Damit Speck nicht wellig wird, lege man ihn vor dem Braten einige Minuten lang ins Gefrierfach.
    Reibt man einen Hackbraten oben mit einem Eiswürfel ab, bekommt der Laib beim Backen keine Risse.
    Spitze bleibt steif, wenn man sie zwischen zwei Bogen Wachspapier bügelt.
    Ständig mussten wir lernen. Es galt eine Million Dinge zu behalten. Wir lernten das halbe Alte Testament auswendig.
    Wir dachten, all dieser Unterricht mache uns klug.
    Wir wurden aber nur dumm davon.
    Bei all den kleinen Dingen, die wir lernten, blieb uns zum Denken keine Zeit. Keiner von uns dachte je darüber nach, was das wohl für ein Leben sein würde, tagtäglich für irgendeinen Fremden zu putzen. Den ganzen Tag Geschirr zu spülen. Die Kinder eines Fremden zu füttern. Den Rasen zu mähen. Den ganzen Tag. Häuser anzustreichen. Jahr für Jahr. Bettlaken zu bügeln.
    In alle Ewigkeit.
    Arbeit ohne Ende.
    Wir alle waren so wild darauf, die Prüfungen zu bestehen, dass wir über den Abend der Taufe nicht hinauszusehen vermochten.
    Wir alle litten so heftig unter den schlimmsten Befürchtungen – Frösche zerquetschen, Würmer essen, Gift, Asbest –, dass niemand darüber nachdachte, welch ein langweiliges Leben uns erwartete, selbst wenn wir die Prüfungen bestehen und einen guten Job bekommen würden.
    Geschirr spülen, ewig.
    Silber polieren, ewig.
    Den Rasen mähen.
    Wiederhole.
    Am Abend vor der Taufe ging mein Bruder Adam mit mir auf die Veranda unseres Hauses und schnitt mir die Haare. Auch all die anderen Siebzehnjährigen in den

Weitere Kostenlose Bücher