Flug 2039
ihren Unterlagen hatte die Sozialarbeiterin akribisch verzeichnet, wie sie mich geheilt hat, mich den Exhibitionisten, mich den Pädophilen, mich den Ladendieb.
Der Agent fragt, ob ich nicht wisse, wie es bei einem Verhör durch das FBI zugehe.
Er fragt, ob ich die Polizei etwa wirklich für so dämlich halte.
»Angenommen, Sie sind nicht der Mörder«, sagt der Agent. »Haben Sie denn eine Idee, wer Ihnen das Buch geschickt hat? Wer versuchen könnte, Ihnen ein Bein zu stellen?«
Möglich. Ich glaub schon. Ja. Weiß ich.
Der Agent nimmt an, es sei jemand von einer feindlichen Religion. Ein eifersüchtiger Katholik, Baptist, Taoist, Jude, Anglikaner oder so.
Mein Bruder, sage ich. Ich habe einen älteren Bruder, der noch am Leben sein könnte, und man kann sich leicht vorstellen, dass Adam Branson durch die Gegend schleicht und Überlebende so umbringt, dass die Polizei das für Selbstmord hält. Die Sozialarbeiterin hat mir bei der Arbeit geholfen. Man kann sich ohne weiteres vorstellen, dass sie in eine Falle getappt ist, die eigentlich für mich gedacht war, eine Flasche Ammoniak, vermischt mit Bleichmittel, die unter der Spüle nur darauf wartete, dass ich den Verschluss abschraube, um von den Dämpfen tot zu Boden zu sinken.
Aus der einen Hand fällt dem Agenten das Buch und landet aufgeschlagen auf dem Teppich. Mit der anderen fährt er sich durch die Haare. »Mutter Gottes«, sagt er. Er sagt: »Sagen Sie bloß nicht, Sie haben einen Bruder, der noch am Leben ist.«
Doch, sage ich. Wahrscheinlich. Vielleicht. Ja, doch. Ich habe ihn einmal im Bus gesehen. Ungefähr zwei Wochen bevor die Sozialarbeiterin gestorben ist.
Der Agent heftet den Blick auf mich, der ich immer noch in dem mit Toastkrümeln übersäten Bett hocke, und sagt: »Nein, nichts da. Sie haben niemanden gesehen.«
Sein Name ist Adam Branson.
Der Agent schüttelt den Kopf. »Ausgeschlossen.«
Adam hat mich zu Hause angerufen und mir gedroht, mich zu töten.
»Das ist nicht wahr«, sagt der Agent.
Doch, sage ich. Adam Branson zieht durchs Land und tötet Überlebende, um uns alle in den Himmel zu bringen oder um der Welt die Einheit der Credisten zu beweisen, oder um sich an denen zu rächen, die die Bewegung der Arbeitsmissionare verraten haben. Was weiß ich.
Der Agent fragt: »Schon mal was von Gegenreaktion der Öffentlichkeit gehört?«
Der Agent fragt: »Wissen Sie, was Ihre Karriere noch wert sein wird, wenn die Leute erfahren, dass Sie nicht der einzige Überlebende des verruchten credistischen Todeskults sind?«
Der Agent fragt: »Was, wenn dieser Bruder verhaftet wird und mit der Wahrheit über den Kult rausrückt? Dann bringt er alles zum Platzen, was unser Autorenteam der Welt über Ihre Kindheit erzählt hat.«
Der Agent fragt: »Und was dann?«
Keine Ahnung.
»Dann sind Sie erledigt«, sagt er.
»Dann sind Sie auch bloß irgendein berüchtigter Lügner«, sagt er.
»Die Welt wird Sie hassen«, sagt er.
»Wissen Sie, welches Strafmaß das Gesetz für groben Unfug vorsieht?«, schreit er. »Für arglistige Täuschung? Für Vorspiegelung falscher Tatsachen? Für Verleumdung?«
Dann rückt er ganz nah heran und flüstert: »Muss ich Ihnen sagen, dass Sodom und Gomorrha Ihnen im Gefängnis so harmlos wie Minneapolis und St. Paul vorkommen werden?«
Er werde mir erklären, was ich zu wissen habe, sagt er. Er hebt das DSM vom Boden auf und wickelt es in die Zeitung von heute. Er sagt, ich habe keinen Bruder. Er sagt, ich habe das DSM nie gesehen. Ich habe meinen Bruder nicht gesehen. Ich bedaure den Tod der Sozialarbeiterin. Ich vermisse meine tote Familie. Ich habe die Sozialarbeiterin sehr gemocht. Ich sei ihr ewig dankbar für ihre Hilfe und Unterstützung, und ich bete unentwegt, dass meine tote Familie nicht in der Hölle schmoren müsse. Er sagt, ich nähme es der Polizei übel, dass sie dauernd hinter mir her sei, nur weil sie zu träge ist, den wahren Mörder der Sozialarbeiterin aufzuspüren. Er sagt, ich wolle all dieses tragische, traurige Todeszeug nur endlich hinter mich bringen. Er sagt, ich wolle nur endlich im Leben weiterkommen.
Er sagt, ich wisse die Ratschläge, die mein wunderbarer Agent mir tagtäglich zukommen lasse, sehr zu schätzen.
Bevor das Zimmermädchen zum Saubermachen hereinkommt, sagt er noch schnell, er werde das DSM sofort in den Reißwolf stecken.
Er sagt: »Und jetzt schwingen Sie Ihren Arsch aus dem Bett, Sie fauler Sack. Und vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe.
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