Flug 2039
Eines gar nicht mehr fernen Tages werden Sie das alles nämlich der Polizei erzählen müssen.«
Kapitel 17
Aus den Toilettenkabinen links und rechts von mir kommt Ächzen und Schnaufen. Sex oder Stuhlgang. Ein Unterschied ist nicht zu erkennen. Meine Kabine hat Löcher in beiden Trennwänden, aber ich kann nicht hindurchsehen.
Ob Fertility schon hier ist, weiß ich nicht.
Wenn Fertility hier ist und still neben mir hockt, bis wir allein sind, werde ich sie um mein großes Wunder anflehen.
Neben dem Loch rechts steht geschrieben: Hier sitz ich, mein Herz ist zerrissen, hab nur gefurzt und nicht geschissen.
Daneben steht: Die Geschichte meines Lebens.
Neben dem Loch links steht geschrieben: Ich mach’s dir mit der Hand.
Daneben steht: Leck mich am Arsch.
Daneben steht: Mit Vergnügen.
Ich bin hier auf dem Flughafen von New Orleans, dem Flughafen, der dem Superdome am nächsten liegt; dort findet morgen der Superbowl statt, in dessen Halbzeitpause ich heiraten soll.
Die Zeit läuft mir davon.
Draußen auf dem Korridor wartet mein Gefolge mit meiner neuen Braut nun schon seit über zwei Stunden auf mich, und ich sitze hier schon so lange, dass mir gleich die Eingeweide aus dem Arsch plumpsen. Die Hose liegt mir zerknautscht um die Füße. Die Papierabdeckung der Klobrille saugt das Wasser wie ein Docht aus der Schüssel hoch und nässt mir die Schenkel. Und mit jedem Atemzug dringt mir der fette Geruch aus den Nachbarkabinen in die Lunge.
Eine Toilette nach der anderen wird gespült, aber jedes Mal, wenn der Letzte gegangen ist, kommt wieder ein Neuer.
In die Wand ist gekratzt: Das Leben und Pornofilme gehen beide zu Ende. Der Unterschied ist nur, dass das Leben mit einem Orgasmus anfängt.
Daneben ist gekratzt: Dabei ist das Aufregende doch grade, dass es aufhört.
Daneben ist gekratzt: Wie tantrisch.
Daneben ist gekratzt: Hier stinkt’s nach Scheiße.
Die letzte Spülung rauscht. Der letzte Mann wäscht sich die Hände. Die letzten Schritte gehen zur Tür hinaus.
Ich flüstere in das Loch links: Fertility? Bist du da?
Ich flüstere in das Loch rechts: Fertility? Bist du das?
Mir bleibt nur die Furcht, dass gleich der Nächste kommt, um seine Zeitung zu lesen und einen spektakulären Schiss in sechs Gängen abzulassen.
Dann höre ich aus dem Loch rechts: »Ich find’s abscheulich, dass du mich im Fernsehen eine Hure genannt hast.«
Ich flüstere zurück: Tut mir Leid. Ich hab bloß abgelesen, was man mir vorgesetzt hat.
»Das weiß ich.«
Ich weiß, dass sie das weiß.
Der rote Mund in dem Loch sagt: »Ich habe da angerufen, obwohl ich wusste, dass du mich verraten würdest. Das hatte mit freiem Willen nichts zu tun. Das war wie bei Jesus und Judas. Im Prinzip bist du für mich so etwas wie eine Schachfigur.«
Vielen Dank, sage ich.
Jemand kommt in die Toilette und tritt in die linke Kabine.
Ich flüstere in das Loch rechts: Wir können jetzt nicht reden. Da ist jemand gekommen.
»Schon gut«, sagt der rote Mund. »Das ist nur Big Brother.«
Big Brother?
Der Mund sagt: »Dein Bruder. Adam Branson.«
Und durch das Loch links schiebt sich der Lauf einer Pistole.
Und eine Stimme, eine Männerstimme, sagt: »Hallo, kleiner Bruder.«
Der Pistolenlauf zielt blind umher, zeigt auf meine Füße, zeigt auf meine Brust, meinen Kopf, die Kabinentür, die Kloschüssel.
Neben dem Lauf steht geschrieben: Lutsch mich.
»Keine Panik«, sagt Fertility. »Er wird dich nicht töten. Das weiß ich.«
»Ich kann dich zwar nicht sehen«, sagt Adam, »aber ich habe sechs Kugeln, und eine davon trifft dich garantiert.«
»Sie werden hier niemanden töten«, sagt der rote Mund zu der schwarzen Pistole. Die beiden unterhalten sich über meinen nackten, weißen Schoß hinweg. »Er war letzte Nacht bei mir zu Hause und hat mir die ganze Zeit die Pistole an den Kopf gehalten. Hat mir aber bloß die Frisur ruiniert, sonst nichts.«
»Maul halten«, sagt die Pistole.
Der Mund sagt: »Das Ding ist nicht geladen.«
Die Pistole sagt: »Maul halten!«
Der Mund sagt: »Ich habe gestern Nacht wieder von dir geträumt. Ich weiß, was man dir als Kind angetan hat. Ich weiß, wie furchtbar das für dich gewesen sein muss. Ich verstehe jetzt, warum du Angst vor dem Geschlechtsakt hast.«
Ich flüstere: Man hat mir überhaupt nichts angetan.
Die Pistole sagt: »Ich habe ja versucht, etwas dagegen zu unternehmen, aber schon die Vorstellung, was die Ältesten euch Kindern angetan haben, hat mich ganz krank
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