Flug des Adlers
dicke Flanellkleidung, aber weder Schuhe noch Strümpfe; die Frau zitterte in einer Milizhose und einem T-Shirt. Valentine übergab dem Anführer der Bären einen Brief, ein paar kurze Abschiedsworte für Gide, die man ihm zu schreiben gestattet hatte. Er dankte ihr damit für das Wochenende im Ausblick und bat sie, Colonel LeHavre und Captain Mofrey sein Bedauern zu übermitteln.
Den Brief weiterzureichen war nicht ganz einfach, da die Kette seiner Handschellen durch eine Öse an einem dicken Ledergurt lief, den man ihm um den Leib geschnallt hatte.
Die Bären brachten ihn zum Ostende der Brücke. Valentines auch in der Nacht scharfe Augen erkannten eine ähnliche Gruppe auf der anderen Seite.
Eine Taschenlampe wurde auf und ab geschwenkt. Einer der Bären bewegte seine Taschenlampe horizontal nach rechts und links.
»Sie sind bereit«, sagte ein Unteroffizier. »Gehen wir, tote Männer.«
»Und Frauen«, fügte die Gefangene vor Valentine müde hinzu.
Der Mann an der Spitze taumelte voran. »Ahhh! Ahhha!«
Valentine hörte, wie die Kette seiner Handschellen in der Öse auf der Vorderseite des Gürtels rasselte.
»Bewegung«, befahl der Bär an seiner Seite.
»Meine Beine!«
»Jetzt halten sie an«, sagte ein junger Milizsoldat mit einer Freiwilligenarmbinde, der ein Fernglas an die Augen hielt.
»Ihr müsst nur auf die andere Seite der Brücke gehen. Dort wird euch nichts geschehen, nicht, solange unsere Jungs hier sind«, sagte der Anführer der Bären.
Der Mann rührte sich nicht. »Ich will, ich will … ich kann nicht. Ich kann nicht! Kann nicht!«, stammelte er.
»Oh, verdammt«, sagte der Bär. Dann packten er und ein Kamerad den Mann bei den Armen und hoben ihn hoch.
Während sie ihn trugen, haspelte der Gefangene etwas darüber hervor, dass es ihm wirklich, ehrlich leidtäte. Warum wollte ihm denn nur niemand glauben, dass es ihm leidtat?
In der Mitte der Brücke warteten zwei Gefangene der Gegenseite, einer in einer blutbesudelten Milizuniform, der andere mit einer Baseballkappe mit der Aufschrift ROLLENDE KOOPERATIVE, mit der er aussah wie ein Lastwagenfahrer.
Quislinge und Bären tauschten Schlüssel aus. Valentine fiel auf, dass die Fesselung auf beiden Seiten identisch war. Im Zuge des Austausches reiste eine Flasche gen Westen, eine dicke Rolle Zeitungspapier gen Osten.
»So was solltest du nicht tun, Bongo«, rügte ein Bär seinen Kameraden.
»Ich lese gern die Witzseiten«, entgegnete der, der offensichtlich auf den Namen Bongo hörte. »Sonst lese ich nichts davon.«
»Weil du nicht willst, oder weil du nicht kannst?«, fragte die gefesselte Milizfrau.
»Halt’s Maul«, warnte sie der Anführer der Kolonne.
Nachdem die Formalitäten erledigt waren, nahmen die Bären die beiden Gefangenen in Empfang und befreiten sie augenblicklich. Einer der Bären warf sich die Kettengeschirre über die Schultern, vermutlich, um sie für den nächsten mitternächtlichen Austausch aufzubewahren. Valentine hörte den beiden Bären zu, die den Mann vor ihm und der Frau trugen und sich leise unterhielten.
»Der ganz hinten, ist der nicht ein Bär?«
»Ich glaube schon. Jedenfalls habe ich ihn in Fort Drizzle in Uniform gesehen.«
»Wissen die das?«
»Mir doch egal.«
»Liegt das an mir, oder stinkt es auf dieser Seite des Flusses?«, fragte Valentine.
»Der Mann, der da vorn zappelt, hat sich wohl in die Hose gemacht«, bemerkte die Offizierin der Quislinge.
»Schön, solange ich es nicht abkriege«, kommentierte der Mann am Ende ihrer Reihe.
Der Gefangene ganz vorn, der vermutlich gefürchtet hatte, auf der anderen Seite der Brücke einen finster blickenden Schlächter vorzufinden anstelle einer Gruppe von Quislingen, war plötzlich wieder in der Lage, auf eigenen Beinen zu gehen. Valentine nahm an, dass er sich tatsächlich in die Hose geschissen hatte, denn er schüttelte etwas aus den Hosenbeinen.
»Nimm’s nicht zu schwer«, rief er dem Mann zu. »Diese Kerle da hinten machen das ständig, wenn sie in den Kampf ziehen.«
»Klar, man braucht schon eine Menge Mumm, um Frauen und Kinder zu erschießen«, sagte der Quisling im Hintergrund.
Sie wurden in einen braunen Lieferwagen gepfercht. Vorn fehlte ein großer Teil der Karosserieverkleidung,
war möglicherweise herausgetrennt worden. Ob das die Wartung erleichtern oder eine Vorsichtsmaßnahme darstellen sollte, vermochte Valentine nicht zu sagen. Er wusste aber, dass Sammelfahrzeuge häufig mit Sprengstoff präpariert wurden.
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