Flug des Adlers
Menschenwohnviertel entstanden. Hier finden sie alles, was sie brauchen, sogar ein überraschend gut ausgestattetes Krankenhaus und eine kleine Schule. Krankenpfleger trinken und Studenten lernen in jenem ewigen Zeugnis urbaner Kultur ganz in der Nähe: einem Café, gleich an dem Zuckerrübenfeld des Jefferson National Expansion Memorial.
Aber jeder achtet sorgsam darauf, dass sein Fußschein-Beleg gut zu sehen ist, sei es der hölzerne Armreif mit den eingelegten Kupferpennys des Kopfschlägerstamms, die Collage alter Briefmarken auf einem hölzernen Zungenspatel, die die Scharfaugen ausgeben, das abgenutzte Stück geprägten schwarzen Leders mit der weißen Stickerei aus dem Stamm der Spätstarter …
David Valentine trat aus dem Beichtstuhl. Noch immer konnte er den Angstschweiß des Priesters wahrnehmen, der in seiner stickigen kleinen Kabine geblieben war. Die von Kerzen erleuchtete Kathedrale wölbte sich wie eine riesige Höhle über ihm und warf die Geräusche der wenigen Leute zurück, die nach der abendlichen Messe noch hier waren. Hausmeister löschten die Öllampen.
»Vater Dahl braucht vielleicht noch einen Moment«, sagte er den drei Leuten, die vor dem Beichtstuhl warteten. Seit er das letzte Mal vor einem Priester gekniet hatte, war ein langes und geschäftiges Jahr vergangen. Das Ritual sorgte stets dafür, dass er sich besser fühlte, was der winzigen, fragilen Verbindung zu seiner Jugend im Schulhaus von Vater Max geschuldet war.
Den Priestern und Nonnen war daran gelegen, dass ihre Schäfchen im Sinne der Kirche Zeichen setzten. Blake zuliebe hatte er gern seine Zweifel hinuntergeschluckt
und ein paar neue Rosenkranzperlen gekauft und sich bei der ein oder anderen Messe blicken lassen.
Er kontrollierte seinen Stammesstadtpass, als er die Kirche durch die für das Publikum geöffnete Seitentür verließ. Er trug ihn an einem Schnürsenkel um den Hals: eine einfache Karte von der Größe eines Bierdeckels, geschmückt mit einem schwarz-weiß-blauen Kreis, der dem BMW-Logo nachempfunden war. Die Grogs der Wasserwegsführer hatten ein Talent dafür, sich Muster mit einer tiefen, spirituellen Bedeutung zu eigen zu machen. Valentine teilte die Begeisterung für das Hobbyangeln mit dem Clanchief, weshalb er seinen Looie-Fußschein mit einem erheblichen Rabatt bekommen hatte.
Die gepflegte Schrotflinte aus dem Besitz des verblichenen F. A. James beflügelte die Transaktion natürlich auch ein wenig. Die Waffe eines getöteten Feindes transferierte spirituelle Kraft zum Wasserweg. Valentine dagegen war froh gewesen, das Gewicht und die mit ihm verbundenen Erinnerungen loszuwerden.
Von der Kirche aus gleich um die Ecke lagen Wohnheim und Schule. Sogar sein Humpeln trat nicht mehr so deutlich zutage, als er die Stufen hinaufsprang und sich bei der Herbergsmutter eintrug. Sie hatte einen Fußschein in Form eines überdimensionierten Ohrrings, der hin und her baumelte, als sie an einem Glockenseil zog.
»Ist er immer noch unten?«, fragte Valentine, als Monsignore Cutcher ihn wieder in Empfang nahm.
»Und er schießt auf wie ein Pilz«, sagte der Jesuit mit dem Stoppelhaar. Er hatte einen leichten Akzent, undeutlich, aber zweifellos europäisch, verglichen mit der üblichen gedehnten Sprechweise der Looies im Mittleren Westen, und manchmal griff er zu sonderbaren Gleichnissen. Cutcher war der weitestgereiste Mann, der Valentine je begegnet war, und er war den ganzen Weg von
Malta hergekommen, um ihm mit Blake zu helfen, aber er erzählte mit der gleichen Selbstverständlichkeit von Orten wie Kapstadt oder Kyūshū.
Cutcher führte ihn zu einer Nische mit einer unauffälligen, schweren Holztür. »Er hat den Spielplatz bei Nacht ganz für sich allein«, sagte Cutcher. »Wir hatten eine unerfreuliche Geschichte mit einem Eichhörnchen, das er mit Leckereien gefüttert hat. Er hat das Vertrauen des Tierchens gewonnen und den armen Nager dann angegriffen. Genau wie bei den Tauben. Er hört für ein paar Minuten auf das, was ihm gesagt wird, aber er vergisst es gleich wieder, wenn man ihn nicht ständig daran erinnert. Das ist ermüdend.«
»Wir müssen ihn vielleicht fortbringen«, sagte Valentine.
Cutcher blieb am Fuß der Treppe stehen. »So?«
»Man hat mich darüber informiert, dass die hinter ihm her sind. Die Freizone wird ihn offiziell für tot erklären. Ich würde gern sicherstellen, dass die Spur zu ihm gleichzeitig hier endet.«
»Es gibt eine kleine Missionsstation in La Crosse. Aber es
Weitere Kostenlose Bücher