Flug in Die Nacht
Rückspiegel beobachtete, fiel ihr auf, daß er eine Sonnenbrille trug. So früh am Morgen und wenn der Himmel bedeckt war, hatte ihr richtiger Fahrer keine getragen. »Wo ist unser Fahrer?«
»Betäubt im Kofferraum, Botschafterin O’Day«, antwortete der Mann. »Er hat sich erbittert gewehrt, bevor wir ihn überwältigen konnten. In ein paar Minuten wacht er wieder auf. «Der Unbekannte bog auf den Parkplatz eines Hotels ab, wo die Limousine nicht gleich auffallen würde. Nachdem er den Wagen geparkt hatte, fing er sofort an, die Uniform auszuziehen.
»Was haben Sie mit uns vor?«
»Nichts«, behauptete der Fahrer. Unter der blauen Uniform trug er ein mit Palmen bedrucktes T-Shirt, Khaki-Shorts und Tennissocken; nachdem er die Stiefel mit Tennisschuhen vertauscht hatte, sah er ganz wie irgendein Tourist aus. Er behielt die Pistole in der Hand, warf einen nervösen Blick auf seine Uhr und beugte sich über die herabgelassene Trennwand nach hinten. »Da ich weiß, daß Ihre Botschaft ihre Dienstwagen durch Mikrowellenpeiler überwacht, kann ich nicht lange bleiben. Ich habe Ihnen eine Nachricht von Vizepräsident Samar zu überbringen … «
»General Samar?« rief O’Day aus. »Lebt er noch ? Ist er untergetaucht … ?« Samar war seit dem Tag verschwunden, an dem Präsident Mikaso ermordet worden war, und wurde allgemein für tot gehalten.
«Still!« verlangte der Mann. Aber er schien seine Unhöflichkeit sofort zu bedauern, weil er rasch hinzufügte:
»Bitte … General Samar bittet Ihre Regierung um Unterstützung im Kampf um die Stadt Davao auf Mindanao.
Er kämpft gegen die chinesischen Eindringlinge, aber er kann sich nicht mehr lange halten – Puerta Princesa und Zamboanga sind schon gefallen; Cotabato und Davao sind stark gefährdet … «
»Wenn Samar Hilfe will«, erklärte O’Day ihm, »muß er aufhören, Verstecken zu spielen, und die Regierung übernehmen. Die Nichtkommunisten unter seinen Landsleuten würden sich um ihn scharen, aber solange ihn alle für tot halten … «
»Ohne Ihre Hilfe ist er vermutlich bald tot«, sagte sein Abgesandter.
«Hören Sie, wir brauchen mehr als nur … «
»Still! Ich darf nicht länger bleiben. Hören Sie mir bitte gut zu. General Samar sagt, daß chinesische Flugzeuge aus Zamboanga die Trägerkampfgruppe um die Ranger angreifen werden, falls sie in die Célebes-See einzulaufen versucht.«
»Was? Woher, zum Teufel, wissen Sie das … «
»General Samar ist auf Mindanao, um dort die Widerstandsbewegung zu organisieren. Aus Truppenbewegungen und abgehörten Funksprüchen schließt er, daß Admiral Yins Streitkräfte am ersten Oktober- am Revolutionstag – jeden etwa vor Mindanao stehenden feindlichen Verband angreifen werden.«
»Aber das ist doch verrückt!« rief O’Day aus. »Die Chinesen würden bestimmt keinen amerikanischen Flugzeugträger angreifen … «
»Das kann ich nicht beurteilen. Der General hat sein Leben riskiert, um Ihnen diese Nachricht zukommen zu lassen – nun ersucht er die Vereinigten Staaten offiziell um humanitäre Hilfe und militärische Unterstützung. Bitte helfen Sie uns!«Er legte O’Day einen kleinen Zettel aufs Knie. »Rufen Sie ihn sofort unter dieser Nummer an. Aber telefonieren Sie nicht aus dem Wagen mit Ihrer Botschaft – hier wimmelt’s von Spionen.« Der Mann zog an dem Knopf, der den Kofferraum entriegelte. »Ihr Fahrer wacht in fünf bis zehn Minuten auf; er befreit Sie dann. Versuchen Sie nicht, mir zu folgen. Bitte helfen Sie uns!«
Der Unbekannte fuhr die elektrisch betätigte Trennscheibe hoch, stieg aus und lief über den Parkplatz davon; sie sahen noch, wie er die Pistole in einen Wassergraben warf, bevor er außer Sicht geriet.
8
Andersen Air Force Base, Guam 3o. September 1994,
23.31 Uhr Ortszeit
Ihre Landescheinwerfer hatten sie erst Sekunden vor dem Aufsetzen eingeschaltet. Die einzigen Lichter auf der völlig abgedunkelten Andersen AFB waren die grüne Schwellenbefeuerung der Landebahn und die blauen Rollbahnrandfeuer. Vom Cockpit aus wirkte der gesamte Nordteil der Insel Guam so dunkel und verlassen wie der nächtliche Pazifik, den sie soeben überflogen hatten.
Das Flugzeug – schwarz wie die Tropennacht, aus der es angeschwebt war – setzte erst im zweiten Viertel der über drei Kilometer langen Landebahn des Stützpunkts auf, um die Rollstrecke möglichst kurz zu halten. Es folgte dem Rollweg Nord, steuerte eine Reihe großer Flugzeughallen an und verschwand gleich in der ersten.
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