Flug in Die Nacht
Der Botschafter wiederholte offenbar nur, was andere ihm eingesagt hatten. Aber sie konnte er damit nicht täuschen. »Mr. Ambassador, wollen wir nicht zur Sache kommen ? Wo ist Präsident Mikaso? Ist er ermordet oder verhaftet worden?«
»Schweigen Sie, Botschafterin O’Day«, sagte der indonesische Botschafter als Vorsitzender des Exekutivrats.
»Sie haben hier kein Rederecht.«
Sie ignorierte ihn. »Ich möchte einen Beweis für Ihre Behauptung, vor Palawan sei eine amerikanische Atomwaffe detoniert. Dieser Versammlung sind im Gegenteil schlüssige Hinweise darauf vorgelegt worden, daß es sich um einen chinesischen Gefechtskopf gehandelt hat, der … «
»Lügen!« fauchte Botschafter Perez. »Ich bestehe darauf, daß diese Frau aus dem Saal gewiesen wird und daß sich ihre Regierung für ihr unerhörtes Benehmen entschuldigt!«
»Nehmen Sie’s wie ein Mann, Mr. Ambassador«, riet sie ihm gleichmütig. »Schließlich bin ich nur eine Frau.«
Das war zuviel für die ASEAN-Delegierten; sogar der Kronprinz von Brunei, der O’Day bewundernd angestarrt und bei ihren ersten Worten zustimmend genickt hatte, schüttelte jetzt den Kopf. »Botschafterin O’Day, Sie sind nur als Beobachterin zugelassen«, stellte der Vorsitzende fest. »Sie haben kein Rederecht. Dies ist die letzte Verwarnung.
Botschafter Perez, fahren Sie bitte fort.«
»Danke. Die verfehlte Wirtschaftspolitik des früheren Regimes und der amerikanische Imperialismus haben mein Land an den Rand des Ruins gebracht. Auch die Chinesen sind von Rebellen angegriffen worden. Als sie nach dem Atomüberfall humanitäre Hilfe angeboten haben – eine Geste, zu der sich viele andere Staaten – auch einige der hier vertretenen – erst nach Tagen entschließen konnten, haben wir sie auch um Unterstützung im Kampf gegen die stark bewaffneten Rebellen gebeten, die … «
»Sie sollten Techno-Thriller schreiben, Mr. Perez«, sagte der Kronprinz von Brunei lachend. »Die sind in meiner Heimat sehr beliebt. Von Ihren Lügen kann man das leider nicht behaupten.«
Perez sprach unbeirrt weiter: »Ich ersuche meine Mitdelegierten, Sanktionen gegen mein Land abzulehnen und die fortgesetzten Unterstützungs- und Befriedungsmaßnahmen der chinesischen Regierung wie bisher aufmerksam zu beobachten. Mein Volk bittet um Ihre Hilfe und Ihr Verständnis. Ich danke Ihnen.« Der Botschafter drehte sich um, starrte O’Day feindselig an und sah dann wieder nach vorn, um auf das Abstimmungsergebnis zu warten.
»Der hier eingebrachte Entschließungsantrag sieht umfassende Wirtschaftssanktionen gegen die Volksrepublik China und die Republik Philippinen vor«, faßte der Vorsitzende zusammen. »Danach würden Handel und Verkehr mit China stark eingeschränkt, und die ASEAN würde ermächtigt, alle für erforderlich gehaltenen Maßnahmen zu treffen, um China zu veranlassen, seine Land- und Seestreitkräfte aus allen Mitgliedsländern beziehungsweise deren Hoheitsgewässern abzuziehen. Darüber wird in offener Abstimmung entschieden. Der vorliegende Antrag ist angenommen, wenn er mindestens fünf Ja-Stimmen erhält. Ich bitte jetzt um Abstimmung.«
Ein Mitgliedsstaat nach dem anderen gab seine Stimme ab.
Indonesien.
Malaysia.
Singapur.
Das Sultanat Brunei.
Alle sprachen sich für den Antrag aus.
Die Philippinen stimmten dagegen.
Ebenso Thailand, das wie Vietnam darauf verzichtet hatte, sich abschließend zu dem eingebrachten Antrag zu äußern.
Das machte O’Day Sorgen. Sie hatte versucht, schon im Vorfeld der Konferenz mit den beiden Delegierten zu sprechen, aber es war ihr nicht gelungen. Wie die Abstimmung ausging, hing von diesen beiden Staaten ab; beide lagen im Einflußbereich Chinas, und der übermächtige Nachbar spielte bei ihren politischen und militärischen Entscheidungen stets eine große Rolle.
Beide Staaten waren jedoch der ASEAN beigetreten, um Chinas Einfluß zu begrenzen, und diese Rechnung war bisher aufgegangen. Erst ihre Mitgliedschaft versetzte sie in die Lage, dem Druck der benachbarten Großmacht zu widerstehen.
»Das Königreich Thailand«, sagte sein Botschafter, «hegt die Befürchtung, daß eine überhastet und ohne gründliche Untersuchung und Diskussion verabschiedete Entschließung dieser Art letztlich kontraproduktiv wäre. Obwohl auch Thailand sich ein Ende von Angst und Gewalt wünscht, können wir keiner derartigen Entschließung zustimmen, ohne daß weitere Untersuchungen stattgefunden haben. Thailand enthält sich der
Weitere Kostenlose Bücher