Flug in Die Nacht
veranlassen sollen, jedes Jahr eine neue Raumfähre zubauen und ständige Verbesserungen an Avionik und Triebwerken vorzunehmen. Aber auf diesem Gebiet passierte nichts.
Daraufhin interessierte Jon Masters sich für eine der vielen kleinen Firmen, die Trägerraketen für kommerzielle Zwecke bauten. Im Jahre 1984 schied er aus der NASA aus und trat in den Vorstand der Sky Sciences, Inc., in Tennessee ein, die gelegentlich Aufträge als SDI-Subunternehmerin erhielt.
Wenig später übernahm er als Vizepräsident die Forschungsabteilung der kleinen Firma. Durch Masters’ Eintritt in den Vorstand kam neuer Optimismus – und neues Kapital – in die Firma, die sonst vielleicht nicht mehr lange überlebt hätte.
Als alle Raumfähren nach der Challenger-Katastrophe von 1986 für unbegrenzte Zeit Startverbot erhielten, kamen Trägerraketen wieder groß in Mode. Während die NASA alte Titan-Raketen für Satellitenstarts reaktivierte, kündigte Jon Masters – inzwischen Präsident der in Sky Masters, Inc., umbenannten Firma – 1988 die Entwicklung einer neuen preiswerten Trägerrakete an, die an Bord eines einzigen Flugzeugs transportiert und von praktisch jedem Flugplatz aus gestartet werden konnte. Damit waren Militär und NASA wieder imstande, binnen kürzester Zeit Satelliten in eine Erdumlaufbahn zu bringen.
Sein nächstes Projekt war das ähnliche, aber noch flexiblere System ALARM: eine Trägerrakete mit ausklappbaren Tragflächen. Sie benützte ihr Transportflugzeug als erste Raketenstufe und dann ihre Tragflächen, um den Wirkungsgrad der beiden nächsten Stufen zu erhöhen. Ein Flugzeug konnte ständig mit zwei Trägerraketen an Bord einsatzbereit dastehen, um dann zu starten, sobald die Nutzlast an Bord war. Wurde die Maschine in der Luft betankt, konnte sie tagelang im Einsatz bleiben, um die ALARM von jedem beliebigen Punkt der Erdoberfläche aus zu starten.
Für seine kleinen Trägerraketen hatte Masters verschiedene Nutzlasten entwickelt. Sein ganzer Stolz war ein Satellit, der Radar-, Infrarot- und Filmaufnahmen zu einem Bild der Erde kombinieren konnte, das dutzendmal schärfer als alle bisher bekannten Aufnahmen war. Diese Bilder konnten digitalisiert und über seine kleinen Nachrichtensatelliten an Bodenstationen in aller Welt übermittelt werden, so daß Militärstellen Echtzeit-Aufklärung zur Verfügung hatten. So konnten Nutzer im Pentagon oder Weißen Haus bis hin zu Bomberkommandanten selbständig Bildaufklärung betreiben, Einsätze planen oder umplanen und die Wirkung von Angriffen fast augenblicklich beurteilen.
»Fünfzehn Minuten bis Startfenster eins«, kündigte Helen Kaddiri als Startkontrolloffizier an. Helen unterstand nicht nur der gesamte Technikerstab, sondern sie war auch für die Überwachung aller Flugsysteme während des Einsatzes verantwortlich. Sie war Anfang Vierzig, exotisch attraktiv und als Zwölfjährige mit ihren Eltern von Indien nach Amerika gekommen. Als Wissenschaftlerin, die nur an ihre Karriere dachte, fand Helen es manchmal sehr frustrierend, für einen Chef wie Jon Masters zu arbeiten.
Jetzt beobachtete sie Masters mit ihren schönen schwarzen Mandelaugen, als er einen Blick aufs Steuerpult warf. Masters war so entspannt und locker, daß er die pedantischen Technikertypen, mit denen er zusammenarbeitete, ständig irritierte – sie selbst natürlich auch. Das mochte daran liegen, daß er alle und alles gleichmäßig unbekümmert behandelte …
als sei die Arbeit für ihn eine einzige große Strandparty.
»Vierzehn Minuten bis Startfenster eins«, sagte sie.
»Danke, Helen«, antwortete Jon. Er schob seine Baseballkappe etwas höher, wodurch er noch jünger aussah – wie »Beaver« Cleaver. »Dann wollen wir Roosevelt One mal in Position bringen und startklar machen.«
Kaddiri verzog das Gesicht. Masters hatte den Tick, seinen Trägerraketen statt Nummern Namen zu geben. Im allgemeinen benannte er sie nach amerikanischen Präsidenten oder Hollywoodstars. Hätte er einen Hund gehabt, hatte er ihm vermutlich eine Nummer zugeteilt.
Jon Masters klappte das Mikrofon seiner Hör-Sprech-Garnitur vor seine Lippen. »Besatzung, Roosevelt One wird jetzt in Startposition gebracht.«
Die beiden Trägerraketen lagen nebeneinander im vorderen Teil des fünfunddreißig Meter langen und zehn Meter breiten Frachtraums, so daß reichlich Platz für Inspektionen der bei 1,25 Meter Durchmesser fünfzehn Meter langen Rakete und ihrer Stabilisatoren blieb. Vor dem
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