Flug ins Feuer
zu. Mal sehen, ob du dir dein Schuldgefühl über dein neu beginnendes Leben abrennen kannst.«
»Brody …«
»He, keine Entschuldigungen, nicht meinetwegen. Lauf einfach.«
Griffin versuchte genau das. Und er lief bis zur Erschöpfung, aber leider konnte er seine Erinnerungen, seine Hoffnungen und Träume nicht wie im vergangenen Jahr abschütteln.
Als er zurückkam zu dem kleinen Haus, das er jetzt seit einem Jahr sein Zuhause nannte, stellte er sich, immer noch aus der Puste und schnaufend und schwitzend, auf den Balkon. Brodys Rucksack stand auf dem Tisch, aber sein Bruder war nicht zu sehen.
Niemand war zu sehen, und als er seine schmerzenden Muskeln dehnte, verfluchte er die Einsamkeit, die er so lange gesucht hatte.
Er fragte sich, was Lyndie wohl gerade tat. Flog sie? Bestimmt. Nach Südamerika dieses Mal? Verdammt, sie könnte überall sein, mit wem auch immer.
Lange hatte er sich nicht gestattet, an irgendjemanden zu denken, aber jetzt, da er wieder in Schwung gekommen und sich zwei Wochen lang so lebendig gefühlt hatte, war es unmöglich geworden, sich so abzuschotten.
Er würde nie vergessen, was er verloren hatte, niemals. Aber die bittere Wahrheit blieb bestehen – sie waren tot.
Und er war es nicht.
Lyndie konnte sie nicht ersetzen, aber er hatte weiß Gott nicht nach einem Ersatz gesucht – hatte überhaupt nichts gesucht, und dennoch hatte er... etwas unglaublich Gutes und Besonderes gefunden.
In Brodys Rucksack klingelte ein Handy. Er hatte es seinem Bruder an dem Abend, an dem sie zurückgekommen waren, zurückgegeben. Da er wusste, dass es wahrscheinlich seine Eltern waren, wandte Griffin sich ab. Er konnte immer noch nicht mit ihnen reden, wusste nicht, was er sagen sollte oder wie er es sagen sollte.
Das Handy klingelte ein zweites Mal. Er sah vor sich, wie seine Mutter mit dem Fuß wippte, wie sie es immer tat, wenn sie wartete. Für eine so warme, liebevolle Frau besaß sie sehr wenig Geduld, und schon gar nicht für ein Handy.
Und jetzt wurde Griffin endgültig klar, dass sie keine Ahnung hatten, wohin er gegangen war, sonst wären sie längst hier aufgekreuzt, hier in San Diego, hätten ihn bedrängt, ihn zu überreden versucht.
Das dritte Klingeln schrillte. Seine Mom würde jetzt auf ihrer Unterlippe kauen und besorgt aussehen.
Mist. Ein kurzer Blick auf das Display beschleunigte seinen Herzschlag. Er hatte Recht gehabt, es war eine Mrs. Phyllis Moore, Mutter der Sonderklasse.
Er starrte seinen Daumen an, der auf dem Antwortknopf ruhte, und fragte sich, warum ihm die Gründe dafür, dass er ihr so lange aus dem Weg gegangen war, jetzt lächerlich vorkamen.
Das vierte Klingeln unterbrach sein Daumen. Tief durchatmend sagte er »Hallo«.
Kurzes, erschrecktes Schweigen. Dann die zittrige Stimme seiner Mutter: »Griffin? Oh, mein Gott, Griffin, bist du das?«
Ein bleischweres Gewicht schien ihm von der Brust genommen. »Ja«, sagte er schroff, als sie in Tränen ausbrach. »Ich bin’s, Mom.«
Brody hing herum. Das konnte er prima. Genau genommen war es eine Art Hobby von ihm, das Leben so leicht wie möglich zu nehmen, aber irgendwie wollte ihm das in den letzten beiden Tagen nicht recht gelingen.
Er langweilte sich, und, schlimmer noch, er war geradezu angewidert von sich selbst und seiner Richtungslosigkeit. Er saß am Strand und starrte in die Wellen, die Füße im Wasser. Die langen Schwaden des Morgennebels trieben über das Wasser, und es war kühl. Der Ozean hämmerte auf den Strand im Rhythmus mit dem Kopfschmerz, der sich bei ihm einstellte.
Kopfschmerzen. So weit war es schon mit ihm gekommen. Er stand tatsächlich so unter Druck, dass er Kopfschmerzen davon bekam.
Ein älteres Paar ging Hand in Hand an ihm vorbei, ihr Golden Retriever rannte begeistert vor ihnen her und trug einen Stock im Maul. Sie waren vermutlich seit Ewigkeiten zusammen, so wie seine Eltern, halfen sich gegenseitig, hatten hart gearbeitet für das, was sie hatten, pflegten es, liebten es.
Brody hatte nie etwas anderes gepflegt als sich selbst.
Die Sonne kam hinter einer Wolke hervor und beleuchtete den Ozean, den Sand, alles um ihn herum. Herrgott, war es schön hier. Griffin hatte für das Jahr des Durchhängens wirklich einen der Heimat würdigen Ort gefunden. Wahrscheinlich hatte er dafür seine Ersparnisse verbraucht.
Brody hätte das nicht tun können. Er hatte sein Familienerbteil, Treuhandfonds in beträchtlicher Höhe, angeknabbert, statt selber Geld zu verdienen, wozu er
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