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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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zu verstehn. Wenn du einen Fisch fangen willst, benutzt du eine Angel und kein Blasrohr. Es geht um die Mittel, um sonst nichts.«
    »Du tust, als hätte ich eine Bombe geschmissen.« Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die zerbissene Unterlippe. Sie blutete. Christian schwieg. Sie tat ihm leid. Sie verstand es wirklich nicht. Sie begriff nicht, daß es Spielregeln gab. Wie sie, seit sie sich kannten, jede Terminologie mißachtete. Sie erfand sich ihre eigene, je nach Stimmung, und war ungehalten, sobald er sie korrigierte. Wenn er sie berichtigen könnte, sagte sie, hätte er sie offenbar richtig verstanden. Demzufolge wäre seine Übersetzung in seine exakte Wissenschaftssprache überflüssig.
    »Schön«, sagte er, »dann mußt du machen, was du für richtig hältst, dann mußt du die Leute mit verrückten Briefen bombardieren. Aber dann zittre hinterher nicht vor Angst. Wenn du das selbst für eine vernünftige Art der Auseinandersetzung hältst, wirst du ihnen das auch erklären können.«
    Josefa duckte sich und zog den Kopf ein. »Hör doch mal auf mit deiner Vernunft«, bat sie, »ich begreif’s doch nicht. Ich habe einen Brief geschrieben. Na und. Einen Brief kann man wegschmeißen, wenn man ihn nicht will. Es ist nichts passiert. Aber sogar du regst dich auf. Ich habe, glaube ich, nur Angst, weil ich so richtig nichts begreife. Und immer ist dieser Strutzer wieder da. Ich rede mit dem zuständigen Genossen, ich schreibe einen Brief an den Höchsten Rat, und am Ende sitzt immer Strutzer an der einen Seite des Tischs und ich an der anderen.«
    Christian setzte sich neben sie an den Ofen. Josefa fühlte seine Schulter und seinen Arm, stellte sich vor, sie könnten so Empfindungen austauschen wie Ströme. Sie würde etwas von ihrer Angst in Christian leiten, dafür einige Ampere Gelassenheit abziehen.
    »Willst du kündigen?« fragte Christian.
    »Nein.«
    »Dann bring das mit dem Brief in Ordnung. Hör dir wenigstens die Vorhaltungen an, ohne zu widersprechen, und sag zum Schluß, du siehst es ein«, sagte er und zitierte einen seiner Lieblingssätze: »Es ist nicht wichtig, recht zu haben, sondern recht zu behalten.«
    Diesem Satz gegenüber fühlte sie sich ohnmächtig, seitdem sie ihn kannte. Sie konnte keine Antworten, Reaktionen, Telefongespräche kalkulieren wie die Zutaten für eine Suppe. Sie wußte nicht im voraus, was Strutzer als nächstes tun würde und was sie darum als übernächstes tun mußte. »Ich werd’s versuchen«, sagte sie. Und wieder, wie an dem Abend in Brommels Landhaus, dachte sie, ihr Zwiespalt sei leichter zu ertragen, solange sie für Christian bleiben durfte, wer sie war. Allein den Gedanken, sie könnten sich eines Tages wieder trennen, empfand sie als existentielle Bedrohung.

    Die Sitzung der Parteileitung war für den Montag angesetzt worden. Am Montagmorgen waren alle Mitarbeiter der Illustrierten Woche bereits über Josefas absonderliches Vergehen unterrichtet, obwohl die Mitglieder der Leitung, die Strutzer in einer kurzen Zusammenkunft informiert hatte, zu strenger Vertraulichkeit verpflichtet waren. Als Josefa die Tür zu Luises Zimmer öffnete, richtete Luise sich in ihrem schwarzen Kunstledersessel auf, stellte die Teekanne wieder auf den Tisch, sagte: »Nasagmal«, schüttelte den Kopf, kniff die Lippen zusammen, sagte: »Mach mal die Tür zu.« Nahm die Teekanne wieder in die Hand, goß sich Tee ein, sagte: »Was Blöderes ist dir wohl nicht eingefallen.«
    »Nein«, sagte Josefa, blieb stehen, überlegte, ob sie etwas erklären sollte, schwieg.
    Luise holte tief Luft. »Alsoweeßte …«, begann sie, sprach nicht weiter, schlug sich mit der flachen Hand dreimal gegen die Stirn, begnügte sich mit dieser Geste, die offenbar alles ausdrückte, was sie zu sagen hatte. Sie blätterte in einer Zeitung und las. Oder las nicht, wie die nervösen Bewegungen ihrer Augäpfel vermuten ließen. Josefa verließ das Zimmer leise, traf in dem weißen Gang Ulrike Kuwiak, deren Gruß äußerst streng und ernst ausfiel. An Josefas Schreibtisch stand Günter Rassow und winkte ihr eifrig mit dem Hörer ihres Telefons. »Die Chefin«, flüsterte er und lächelte mitleidig.
    »Warum rennst’n einfach weg. Also komm zurück«, sagte Luise und legte auf.
    Luise gehörte nicht zur Leitung. Anläßlich der letzten Wahl hatte Strutzer den Versammelten mitgeteilt, daß sie auf Grund ihres schlechten Gesundheitszustandes darum gebeten habe, nicht wieder als Kandidat aufgestellt zu

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