Flugrausch
auch die moralische Verderbtheit der Leserschaft nicht mit einkalkuliert. Sergeant van Alphen zufolge, der sie kurz eingewiesen hatte, bevor sie losgefahren waren, hatte jemand Kinderpornografie auf die Festplatte heruntergeladen. Jemand anderes hatte ein Album voller Fellatio-Miniansichten auf dem Bildschirm stehen gelassen. Die Bibliothekarinnen konnten unmöglich alle überwachen, also hatten sie die Polizei gerufen.
»Sergeant, ich kenne mich mit dem Internet nicht aus«, hatte Tankard bei der Einweisung gejammert.
»Keine große Sache«, hatte van Alphen erwidert. »Setzen Sie sich hin, lesen Sie was, schlendern Sie ein wenig herum, stöbern Sie in den Regalen, aber behalten Sie im Auge, wer sich einloggt und was heruntergeladen wird, ohne dass Sie dabei auffallen. Und lassen Sie die Funkgeräte im Wagen. Benutzen Sie im Notfall das Telefon in der Bücherei.«
Pam hatte sich ein Grinsen gerade noch verkneifen können: John Tankard in einer Bücherei! »Ein paar gebundene Bücher stemmen, gute Übung für den Bierarm, Tank.«
»Es reicht, Constable«, hatte van Alphen gesagt.
Als Pam an die Tür zur Bücherei kam, glitt diese auf, und Tankard stürzte heraus. Er war wie in einem Freudentaumel, strahlte mit zuckenden Mundwinkeln und schlug die Faust in die Handfläche.
»Fall gelöst«, frohlockte er.
»Wie bitte?«
»Brad Pike.«
Pam schaute an Tankards breitem Oberkörper vorbei, doch Pike verbarg sich hinter den inneren Türen, der Ausleihtheke und den zweitausend Quadratmetern Bücherregalen. »Und was macht er?«
»Sitzt vor einem Computer.«
»Ja, Tank, aber was macht er?«
»Dreimal darfst du raten.«
Also zog Pam ihre Schlussfolgerungen und verknüpfte im Geiste Internet-Pornografie mit jenem Tag vor zehn Monaten, als Bradley Pike, zweiundzwanzig, arbeitslos und nicht vermittelbar, bei Jasmine Tully, der zweijährigen Tochter seiner Lebensgefährtin, den Babysitter spielte. Es war ein Samstag gewesen, und damit Jasmine ihren Mittagsschlaf machte, hatte er sie herumgefahren. Als sie eingeschlafen war, war er in eine Milchbar gegangen, um sich Zigaretten zu holen. »Ich war fünf Minuten weg«, hatte er gesagt. »Nein, drei Minuten. Drei Minuten höchstens.« Als er zurückkehrte, war das Kind verschwunden. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, den Wagen zu verriegeln. Die kriminologische Untersuchung des Wagens hatte keinerlei Spuren ergeben, mit Ausnahme jener, die man in einem Auto von Leuten wie Bradley Pike und Lisa Tully erwarten konnte. Sie waren jung, arm, ungebildet, nachlässig und dumm. Lisa Tully war an jenem Tag mit ihrer Schwester Donna mit dem Zug nach Frankston gefahren, und als sie, nach Parfümproben stinkend und vor geklauten Spraydosen nur so klappernd, nach Waterloo zurückkehrte und zu hören bekam, dass ihr Kind verschwunden sei, da hatte sie vor Wut geschäumt und geschrien. »Das warst du, Brad, ich weiß, dass dus warst.«
Die Polizei war da ganz ihrer Ansicht und hatte Haus und Garten durchsucht. Nichts. Sie hatten Pike tagelang unter Druck gesetzt, Suchmannschaften hatten die Halbinsel abgesucht: Abflusskanäle, Felsteiche, Farngestrüppe, Müllhalden und Farmland. Das Kind wurde nie gefunden. Pike wurde nie vor Gericht gestellt.
Wie der reinste Schwachkopf, fand Pam, war Pike einfach in Waterloo geblieben. Und als Beweis dafür, wie kaputt manche Menschen waren, sah man ihn ab und an in Begleitung von Lisa, auch wenn der Rest des Distrikts nichts mit ihm zu tun haben wollte.
»Ist doch klar, oder nicht?«, meinte Tankard. »Niemand will mehr mit ihm pennen, also holt er sich zu Pornos einen runter.«
Gut möglich, dachte Pam. Das Neueste in der immer wieder aufflammenden Beziehung Pikes zu Lisa Tully war die einstweilige Verfügung, die Lisa gegen ihn erwirkt hatte; sie behauptete, er würde sie belästigen. Davor hatte sie einen Sinneswandel gehabt und gesagt, sie glaube nicht mehr, dass Pike hinter dem Verschwinden ihrer Tochter stecke. Davor wiederum war sie genau davon felsenfest überzeugt gewesen. Pam wusste, dass die einstweilige Verfügung nicht viel zu bedeuten hatte. Zumindest sorgte sie dafür, dass Lisa und Donna Tully weiterhin im Blickfeld der Öffentlichkeit standen.
»Am liebsten würd ich den kleinen Mistkerl platt machen«, sagte Tankard und ballte die Faust.
Pam nickte geistesabwesend. Sie mussten unbeobachtet in die Bücherei kommen und herausfinden, was Pike am Computer machte. Das war ihre Hauptsorge. Unglücklicherweise kannte Pike ihre
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