Flugrausch
sagen.« Sie saß mit einer Hand am Zündschlüssel da. »Pearce hat im Internierungslager gearbeitet. Wissen wir, wie er die Insassen behandelt hat?«
»Ein Schläger, meinen Sie? Mord aus Rache?«
Ellen nickte.
»Das müssen wir natürlich überprüfen, aber sehr wahrscheinlich ist das wohl nicht.«
»Sehe ich auch so. Aber sobald die Medien anfangen, eins und eins zusammenzuzählen – Pearce’ Arbeit, zwei noch immer flüchtige Lagerinsassen –, werden die Spekulationen blühen, und alle werden in Panik ausbrechen.«
Challis wusste, sie meinte nicht Tessa Kane. »Ich werde mal ein Wörtchen mit unseren PR-Leuten reden«, sagte er.
Die nächsten beiden Grundstücke waren unbewohnt, dann kamen sie an eine Zufahrt, neben der eine Milchkanne mit dem Namen »Casement« stand. Keine Mauer, kein verschlossenes Tor, keine Gegensprechanlage. »Kittys Haus«, sagte Ellen, warf Challis einen Blick zu und hielt an.
Challis nickte.
»Sie möchten nicht, dass sie in irgendwas hineingezogen wird«, fuhr sie fort. Das war eine Feststellung, keine Frage.
»Stellen Sie mein Urteil in Frage?«
Ellen lächelte und schüttelte den Kopf. Sie zögerte, auf das Grundstück zu fahren, ließ den Motor aber laufen. Dann sagte sie leichthin: »Kennen Sie den Ehemann?«
»Ja.«
Challis las viele Dinge aus der Frage und dem Ton ihrer Stimme heraus. Ellen interessierte sich ganz normal für sein Liebesleben – oder dessen Fehlen –, aber sie machte sich auch ihre Gedanken und wünschte ihm Glück. Die unausgesprochene Frage lautete: Haben Sie ein Auge auf Kitty Casement geworfen? Weil Sie sich mit Tessa Kane gestritten haben? Hält Ihre verrückte Frau sie davor zurück, sich wirklich zu binden? Interessieren Sie sich für Kitty Casement, weil das eine sichere Sache wäre, weil sie verheiratet und also unerreichbar ist, und trotzdem sind Sie nicht in der Lage, sich darauf einzulassen?
Challis sah, wie Ellen auf ihrem Sitz herumrutschte. Sie schauten sich lange und viel sagend an, ein Blick, in dem all diese Fragen lagen und der ihnen gleichzeitig auswich. Sie seufzte und fuhr langsam über die Zufahrt. »Hal, wir werden wegen ihrer Verbindung zu Munro ein wenig mehr Druck auf sie ausüben müssen.«
»Ja.«
»Es macht Ihnen doch nichts aus?«
»Das ist unser Job«, antwortete Challis.
Die Casements wohnten in einem alten, aber gut hergerichteten Schindelfarmhaus. Challis nahm an, dass es sich um eines der ursprünglichen Häuser auf der Anhöhe über Penzance Beach handelte. Es war strahlend weiß gestrichen und lag inmitten von Trauerweiden, Aralien und kleinen blühenden Eukalyptusbäumen. Sie parkten hinter Kittys Mercedes und stiegen aus. Ein gewundener Bruchsteinpfad, der von Kräutern und Lavendel gesäumt war, führte sie zu einer glänzend blauen Eingangstür und einem polierten Messingtürklopfer, Kitty kam an die Tür. Sie schien überrascht und ein wenig nervös, sie zu sehen, doch dann trat sie lächelnd zurück und bat sie in eine riesige, frisch renovierte Küche: Edelstahlarbeitsflächen und -geräte, gewachste Hartholzdielen, ein alter frei stehender Hackklotz, Töpfe und Pfannen mit Kupferböden hingen an Haken. Die Nachmittagssonne schien herein und erhellte den Raum, vergoldete Kittys Haarschopf und die Härchen auf ihren Unterarmen, und einen Augenblick überkam Challis der erschreckende Wunsch, die Hand auszustrecken und über ihre Haut zu streichen.
»Tee? Kaffee? Was Stärkeres? Bier? Gin Tonic?«
Die Atmosphäre in der hellen Küche war freundlich. Challis lächelte entwaffnend und sagte: »Ich glaube, wir könnten einen Gin Tonic vertragen.«
Ellen warf ihm einen amüsierten Blick zu und sagte: »Hört sich gut an.«
Kitty ging hinaus und kehrte mit ihrem Gatten und einer Flasche Gin zurück. Rex Casement sah verschlafen und verwirrt aus, und er streckte sich erst mal gewaltig, bevor er ihnen die Hand gab und sich zu ihnen an den Tisch setzte. Er trug einen Trainingsanzug und Nike-Joggingschuhe, war aber ansonsten gut gekämmt und glatt rasiert; so manch anderer, der sich den ganzen Tag zu Hause vor dem Monitor einschloss, hätte sich vielleicht nicht darum gekümmert, sich groß zu kämmen oder zu rasieren.
»Ich war im Internet«, sagte er. »Manchmal vergesse ich dabei die Zeit.«
»Oder den Tag«, sagte Kitty.
»Das auch.«
Challis betrachtete Kitty eingehend. Ihr Gesicht und ihr Verhalten waren neutral: Weder erkannte er das nachsichtige Lächeln der angestrengten, aber liebenden
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