Flugrausch
den Journalisten gegenüber mit den Schultern und wurde freundschaftlich von ihnen bedrängt.
»Sergeant Destry, gibts was Neues von Munro?«
»Könnten wir ein Interview kriegen, Sergeant?«
»Gibt es einen Grund, warum Sie ausgerechnet jetzt zu Mrs. Munro wollen?«
Und so weiter.
Sie grinste und wandte sich ab. Dabei fand sie sich direkt Tessa Kane gegenüber. Ellen nickte. »Tessa.«
»Ellen.«
Es gab eine Pause; dann sagte Ellen, um Tessa wissen zu lassen, dass sie mit ihrer Position zu den Asylbewerbern sympathisierte: »Haben Sie schon gehört? Die armen Iraker sind an der Landspitze aufgespürt worden.«
Tessa lächelte aus Dankbarkeit schwach. »Sie kommen in Einzelhaft und werden abgeschoben.«
Ellen wusste nicht warum, doch plötzlich sagte sie: »Ich weiß nicht, wo Hal heute ist. Er folgt wohl einer Spur.«
Tessa zuckte mit den Schultern. Es schien sie nicht zu interessieren. Stattdessen fragte sie: »Wer war denn der Mann in dem Wagen da gerade?«
Ellen dachte über die Frage nach. Es konnte wohl keinen Schaden anrichten zu sagen: »Carl Lister. Nachbar, mehr oder weniger. Warum?«
»Ach, nur so«, antwortete Tessa Kane, und da wusste Ellen sofort, dass es einen sehr guten Grund für diese Frage gab.
35
Challis arbeitete am Dienstagnachmittag bis gegen vier Uhr und fuhr dann zum Flugplatz, um dort für ein paar Stunden am Cockpit der Dragon zu arbeiten, bevor er nach Hause ging. Zu Hause, das hieß früh- oder spätabendliche Dunkelheit, ein Anrufbeantworter voller hysterischer Anrufe seiner Frau, ein trostloses Fertiggericht – denn meistens war er zu müde, um sich noch ums Kochen zu kümmern – und ein kaum erholsamer Schlaf, bevor er an einem kalten Morgen aufwachte, an dem die Sonne nur noch schwach durch die kahlen Bäume im Hinterhof fiel.
Zu Hause, das konnte auch Tessas Haus heißen. Die Möglichkeit bestand durchaus, doch noch immer fühlte er sich ihr irgendwie entfremdet. Im Progress von heute hatte sie über die willkürliche Hysterie der Gemeinde gelästert, die sich auf die Asylbewerber konzentrierte, den wirklichen Problemen des Ortes gegenüber aber blind war, wie zum Beispiel dem zunehmenden Drogenhandel. Tessa war auf dem Kriegspfad, und wenn sie so war und die Welt nur in Schwarz und Weiß sah, dann hatte er das Gefühl, sie würde seinen mangelnden Enthusiasmus sofort bemerken und enttäuscht sein.
Merkwürdigerweise hatte sie auch den »Einmischer« abgedruckt – vielleicht hatte sie nicht mehr genug Zeit gehabt, den Artikel vor dem Druck noch herauszunehmen, dachte Challis.
Auf dem Flugplatz konnte er seine Gedanken ein wenig schweifen lassen. Seelenfrieden aus der Arbeit mit den eigenen Händen ziehen. Vielleicht war Kitty auch da.
Was glaubte er denn, tun zu können – sie aus einer lieblosen Ehe befreien? Wer sagte denn, dass sie tatsächlich lieblos war? Challis hatte es sich vielleicht nur so zurechtgelegt. Oder sie könnten eine Affäre anfangen. Wie passend für einen Mann, der gute Gründe hat, sich von allen Verpflichtungen fern zu halten.
Aber das spielt sich alles nur in meinem Kopf ab, dachte Challis, als er in den Hangar kam und Kitty Casement sah, ein gedankenverlorenes Lächeln und ein Winken entgegennahm und nichts weiter.
»Muss meinen Papierkram erledigen«, rief sie und wedelte mit einer Rechnung. Ihre Stimme verlor sich in den Ecken der hohen Stahlwände und des ölfleckigen Betonbodens.
»Viel Spaß«, rief Challis zurück, stieg in seinen Overall und schwang sich auf den unteren Flügel der Dragon.
Langsam fühlte er sich besser. Es gelang ihm, sich für eine Weile ganz in die Arbeit zu vertiefen. Ein Teil seines Verstandes war damit beschäftigt, die einzelnen Schritte der körperlichen Anstrengung vorauszuplanen, während der andere von einer vergangenen Zeit träumte, 1942, als ebendieses Flugzeug dabei mitgeholfen hatte, holländische Flüchtlinge, die vor der japanischen Invasion Javas flohen, von Broome nach Perth zu bringen. Oder noch früher, 1934, als ein Geologe der Vacuum Oil Company damit über schwieriges magnetisches Gelände in der entlegenen Wüstenregion von Zentral- und Nordaustralien geflogen war.
Damit hörte die Geschichte seiner Maschine auf. Challis hatte keine Ahnung, wie die Dragon dann später als Wrack in einer Scheune in der Nähe von Toowoomba in Queensland endete.
Wie hieß das, Synchronizität oder so? Irgendwas in der Art. Jedenfalls klopfte genau in diesem Augenblick Kitty an den Rumpf der
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