Flurfunk (German Edition)
Auf der Packung stand ausdrücklich drei Tabletten als Tagesdosis.
Mich überkamen Zweifel, ob es sich um persönlichkeitsverändernde Tabletten und nicht Beruhigungsmittel handelte.
»Meine Damen und Herren, wir beginnen mit dem Boarding!«
Unter sanftem Zureden schob ich Lena langsam zum Flieger. Wie ein Verurteilter zum Schafott stieg sie die Treppe hoch, ohne ihren Verdächtigen aus den Augen zu lassen.
Ich überließ Lena den Fensterplatz und plumpste erschöpft in den Ledersessel neben ihr.
»Der Typ sitzt direkt hinter uns! Da habe ich ihn wenigstens im Blick!«, flüsterte Lena und schielte überhaupt nicht auffällig durch die Sitzlücke nach hinten.
Immerhin hatte sie eine Aufgabe und merkte gar nicht, wie das Flugzeug auf die Landebahn rollte und beschleunigte.
Beim Abheben nahm ich ihre Hand und sprach beruhigend auf sie ein.
»Das ist total normal. Jetzt fährt er die Räder ein, daher das Geräusch, und gleich gongt es, dann kannst du dich abschnallen.«
Doch Lena interessierte mehr, was ihr Beschattungsobjekt machte. Jede Bewegung wurde mir akribisch mitgeteilt.
»Er faltet die Hände, sieht aus, als ob er betet! Jetzt steht er auf! Oh nein, Lotte, er geht nach vorne, tu doch was. Er geht zum Klo!«
Während Lena sich in ihre Paranoia steigerte und kurz davor war, »Bombe an Bord!« zu rufen, kam eine der Stewardessen zu uns.
Hatte sich Lenas Verdächtiger über uns beschwert?
»Entschuldigen Sie, aber der Herr hinter Ihnen leidet unter Flugangst. Leider sitzt keiner bei ihm, und wir können uns nicht die ganze Zeit um ihn kümmern. Wäre eine von Ihnen so freundlich, sich zu ihm zu setzen und ihn ein bisschen abzulenken?«
Ich wusste nicht, worüber ich mehr lachen musste, über Lenas Gesichtsausdruck oder die Vorstellung, wie beide abwechselnd auf die Toilette rannten, weil sie sich überdosiert hatten.
»Machen wir gerne!«
Lena nickte schuldbewusst.
»Mann, Lotte. Wie peinlich! Versprich mir, dass du keinem was davon erzählst, okay?«
»Wenn du niemandem von meinem Auftritt im Schlafwagen erzählst, sind wir quitt. Wer setzt sich denn zu dem armen Kerl?«
»Ich mach das. Schließlich kann ich besser nachvollziehen, wie es ihm geht.«
Lena, plötzlich ganz die Alte, schwang sich auf den Rücksitz und begann sofort ein Gespräch mit dem gerade zurückgekehrten, immer noch bleichen Leidensgenossen. Mit halbem Ohr hörte ich mit.
Er hieß Irman, war persischer Medizinstudent, hatte ein Auslandssemester in Paris hinter sich und flog wieder nach Berlin, wo er weiterstudieren würde.
Nach nur wenigen Minuten waren die beiden in ein Gespräch über fair trade vertieft und verbrüderten sich so schnell, dass ich es kaum glauben konnte, tauschten ihre Adressen aus und waren ein Herz und eine Seele.
Haha, wenn er wüsste, dass Lena noch vor wenigen Minuten einen Sprengstoffgürtel unter seinem Pullover vermutet hatte.
Im Landeanflug kauerten sich beide zusammen und krallten sich still und bleich aneinander fest.
Kaum war das Flugzeug auf dem Boden, jubelten sie lautstark und klatschten wie wild Beifall! Die anderen weltgewandten Kosmopoliten schauten verächtlich hinüber und rümpften die Nasen.
»Wir sind hier nicht im Ferienbomber nach Ibiza, also wirklich!«, ließ ein Nadelstreifen-Momo-Prototyp verlauten.
»Nein, leider nicht, denn da ist die Gesellschaft viel erträglicher als hier mit Pseudo-Globalplayern für Fußgänger!«, keifte ich zurück.
Bevor es zu einem Handgemenge kommen konnte, verdrückte ich mich schnell, nicht ohne ein charmantes »Frigide Zicke!« hinterhergerufen zu bekommen.
»Bei Ihnen gerne!«, konnte ich mir nicht verkneifen.
»Arrogantes Miststück!«
»Mehr fällt uns wohl nicht ein? Sind wir auf dem Erste-Klasse-Licht-aus-Stecker-raus-Weiber-ziehn-sich-nackig-aus-Niveau stehen geblieben?«
Schnell nahm ich meine Tasche und flitzte wie nichts die Gangway hinunter.
Nach der Passkontrolle wartete ich auf Lena, die sich gestenreich von ihrem neuen persischen Freund verabschiedete. Und wieder etwas für die Völkerverständigung getan!
Draußen wartete Casper auf uns.
Lena rannte ihm überglücklich entgegen.
»Und wie war der Flug?«
»Och, okay.« Dabei schaute sie mich beschwörend an, ja nichts anderes zu sagen, und ich hielt natürlich die Klappe.
Kaum hatte Casper uns zu Hause abgesetzt, als auch schon wieder mein Handy klingelte. Meine Mutter! Das traf sich gut!
»Kind, bist du gut gelandet? Wie geht es dir denn? Wie war
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