Flurfunk (German Edition)
Treppen erklomm, überlegte ich, ob Justus extra noch aufgeräumt oder vielleicht sogar gekocht hatte.
Außer Atem rief ich durch die angelehnte Tür: »Da bin ich!«
»Das seh ich!«
Vor mir stand Annabelle!
In der Hand hielt sie eine Tüte – mit meinen Sachen darin!
»Wo ist Justus?«, fragte ich so beherrscht wie möglich.
»Er schafft es leider nicht, soll ich dir ausrichten. Da ich sowieso da war, habe ich mich angeboten, dir deine Sachen zurückzugeben. Wusste gar nicht, dass du Größe M brauchst. Du siehst eher nach S aus. Ach, den Gedichtband mit deiner Widmung habe ich auch dazugetan.«
Noch nie war ich so gedemütigt worden! Vor lauter Wut liefen mir Tränen über die Wagen.
Annabelle deutete das natürlich anders! Mit gespieltem Mitleid, aber triumphierendem Unterton gab sie vor, mich zu trösten.
»Ach Charlotte! Das geht auch wieder vorbei. Du wirst sehen, es ist besser so. Schauspieler sind schwer zu verstehen. Du wärst nie glücklich mit ihm geworden!«
Ohne eine Antwort zu geben, riss ich ihr die Tüte aus der Hand und rannte so schnell ich konnte die Treppen hinunter und aus dem Haus. Das würde ich Justus nie verzeihen! Seit diesem Vorfall hatte ich nichts mehr gehört und wollte, dass das für immer so bliebe!
»Lotte, kommst du mit zum Mittagessen?«
Tim fuchtelte vor meinem Gesicht herum. Mimi stand daneben und blickte mich aufmunternd an.
»Wenn ihr wirklich Wert auf meine lustige Gesellschaft legt, komme ich gerne mit.«
Tim kniff mich in die Seite.
»Ja bitte, dann kann ich mich an deinem Leid aufmuntern und froh sein, dass ich zwar auch unglücklich verliebt bin, aber immer noch besser dran als du.«
So weit waren wir schon. Es fehlte nicht viel, und ich würde als seltsame Tante bei Familienfesten an den Kindertisch gesetzt werden. Und selbst die Kinder wären von der irren Tante genervt, die nach dem Essen so kluge Kommentare von sich gab wie »Eis geht immer, nicht wahr, Kinder?«.
Mimi strahlte mich an, was nichts Neues war, seit der Popstar sich wieder um sie kümmerte. So gern sie über ihn sprach, so sehr versuchte ich das Thema zu vermeiden, denn in meiner momentanen Verfassung und Einstellung zum Thema Liebe war ich nicht dafür geeignet, gemeinsam durch die rosarote Brille zu schauen, um zu sehen, was Mimis Zukunft mit dem Popstar anging.
Beim Essen hörte ich Mimi und Tim zu, lachte an den passenden Stellen, nickte, wenn erforderlich, war aber in Gedanken mal wieder bei Justus.
Mich beschäftigten zwei Dinge. Wie konnte ich es vermeiden, ihn bei der Preisverleihung nächste Woche zu sehen? Als Eskorte musste ich ihn zur Bühne begleiten und in den Presseraum bringen. Pappnase und falscher Bart vielleicht?
Das andere, was mich beschäftigte, war Justus’ Bemerkung, ich hätte, was Ulli Becker anging, Recht. Womit denn? Dass sie mich nicht ausstehen konnte? Dass sie intrigierte? Woher kam ihm plötzlich die Erleuchtung? Was war passiert?
»Lotte, was sagst du denn dazu?«
Mimi sah mich erwartungsvoll an.
»Äh, wozu?«
»Na, ob Will mir den Ring einfach so geschenkt hat, oder ob er vielleicht tiefere Bedeutung hat?«
Klasse! Wir waren immer noch bei meinem Lieblingsthema, dem Popstar. Wie sollte ich Mimi schonend beibringen, dass sie meiner Meinung nach ihre Zeit mit ihm verschwendete, ohne dass es sich grausam anhörte?
»Hm, das kann viele Bedeutungen haben, was meinst du denn, Tim?« Der übernahm zum Glück und sagte das, was Mimi hören wollte.
In diesem Moment klingelte mein Handy. Ich zuckte zusammen.
Meine Mutter!
» Carlotta! Wo steckst du denn? Ich erreiche dich nicht zu Hause, und vorbeigekommen bist du auch nicht seit Paris«
Bestimmt war der Gesprächsstoff in ihrem Das-Rolls-Royce-Kontingent-für-Deutschland-ist-viel-zu-klein-Freundeskreis ausgegangen, und sie brauchte neueste Informationen.
»Wie geht es denn Justus?«, wagte sie tatsächlich zu fragen.
»Keine Ahnung! Das letzte Mal habe ich ihn in Paris gesehen, als deine liebe Freundin Marlene ihn mir auf den Hals gehetzt hast.«
» Carlotta! Ich weiß, dass das nicht zu entschuldigen ist, aber Marlene konnte nicht anders, Justus hatte so traurig und verzweifelt geklungen.« Bei »traurig« rollte sie das R besonders lange. Sie zog das mit ihrem Italientick eisenhart durch! Wie hielt mein Vater das nur aus?
»Mama! Er ist Schauspieler! Er bekommt Preise dafür, auf Kommando traurig sein zu können!«
Jetzt war sie beleidigt.
»Als ob ich das nicht wüsste! Wäre ich am
Weitere Kostenlose Bücher