Flurfunk (German Edition)
seines Lebens damit, und die Zeit wäre doch verplempert mit etwas, das man halbherzig macht, oder?«
Ich nickte hingerissen und war mir sicher, noch nie zuvor solch kluge Worte gehört zu haben. Ich verstand mich selbst nicht. Wieso fühlte ich mich zu ihm hingezogen und spürte eine so tiefe Verbundenheit? Bestimmt wendete er einen Schauspielertrick an, den man im Studium lernte, um das Publikum einzulullen. Wenn ja, funktionierte er einwandfrei. »Ich glaube, ich weiß noch nicht, was ich eigentlich will«, versuchte ich seine Ausgangsfrage zu beantworten.
Er lächelte, was mich nur noch mehr dahinschmelzen ließ. Kein Wunder! Die Zähne waren sicher gebleached.
»Bei mir ist das, abgesehen von der Schauspielerei, auch nicht viel anders. Ich bin gerade dabei, rauszufinden, wer ich bin, oder besser, wer ich sein will. Das Beste ist, viel auszuprobieren, dann merkst du auf alle Fälle schon mal, was du nicht willst.«
»Was hast du denn so ausprobiert?«
Diesmal grinste er verwegen und flüsterte leise: »Das willst du nicht wissen. Aber ich kann dir sagen, langweilig war es auf keinen Fall.«
Mein Herz schlug wie verrückt.
Wir schauten uns einfach nur an. Ich stand mit leicht geöffnetem Mund und schnellem Atem beinahe komatös da, was hoffentlich sinnlich und nicht debil aussah, bis Justus’ sympathische Managerin mich plötzlich zur Seite schob und rief: »Wir können weitermachen!«
Justus schaute mich immer noch an.
Den Rest des Interviews erlebte ich wie in Trance, ich hatte sogar meinen Kater vergessen und dass ich komplett übernächtigt aussehen musste. Das war alles nebensächlich. Ich wollte, dass das Interview nie aufhören würde. Ich wollte nicht, dass er einfach wieder ging.
»Und cut . Wir sind fertig, Leute. Danke!« Felix kam auf mich zu.
»Lotte, kannst du bitte die Bänder gleich in den Schnitt bringen?«
»Jetzt sofort?«, wagte ich zu fragen, doch Felix’ Blick ließ keine Fragen offen. Ich nahm die Bänder und ging widerwillig und so langsam wie möglich, immer in der Hoffnung, Justus würde mir nachrufen … Fehlanzeige.
»Nimm dich nicht so wichtig! Er ist eben ein guter Schauspieler. Das war sicher eine seiner leichtesten Übungen«, redete ich mir ein. In Wirklichkeit war mir längst klar, dass es mich erwischt hatte, und zwar gnadenlos.
Nachdem ich die Bänder im Schnitt abgegeben hatte, rannte ich so schnell wie möglich ins Studio zurück.
Außer Atem musste ich jedoch feststellen: keine Spur von Justus oder seiner Managerin.
»Sind sie schon weg?«, rief ich enttäuscht.
Imka sah mich verständnislos an.
»Ach, du meinst Justus Staufen und seine Kampfdogge. Ja, die sind gerade gegangen.«
Ich versuchte, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
»Hat er noch was gesagt?«
Imka begriff natürlich nichts.
»Nein, zum Glück nicht. War alles wieder okay. Mach dir keine Sorgen. Das ist sicher längst vergessen. Und mit dem Interview war die Becker sehr zufrieden.«
Ich machte mir keine Sorgen! Es war mir völlig gleichgültig, was diese Zicke von Becker fand. Die Anspannung ließ nach, und ich fühlte mich niedergeschlagen. Was, wenn das mein Schicksalswink gewesen war und ich ihn hatte verstreichen lassen?
Andererseits hätte Justus ja auch etwas unternehmen können!
So gut es ging, lenkte ich mich ab, war jedoch offensichtlich durch den Wind. Mimi und Tim fiel es sofort auf. Sie witzelten, ob Justus mich so geschafft hätte. Wenn sie gewusst hätten, wie richtig sie damit lagen …
Den Grund für meinen verwirrten Zustand behielt ich aber erst mal für mich, oder sollte ich mich lächerlich machen und sagen, dass ich gerade die Liebe auf den ersten Blick erfahren hatte, noch dazu ausgerechnet mit Justus Staufen?
Mimi versuchte zwar etwas aus mir herauszubekommen, doch ich winkte ab und vertröstete sie.
»Jetzt nicht, Mimi. Ich erzähl’s dir ein anderes Mal.«
In diesem Moment klingelte mein Handy. Vollkommen irrational hoffte ich, es könnte Justus sein. Vielleicht hatte er sich meine Nummer von Felix besorgt.
Nervös hob ich ab und meldete mich aufgeregt.
» Scharlott . Was ist los mit dir? Du klingst so nervös.«
Meine Mutter – natürlich, wie immer, mit dem Gespür für das richtige Timing.
Sie wollte mich an das Rosenfest erinnern, zu dem sie jedes Jahr einlud und das am nächsten Abend stattfinden sollte.
»Du weißt, das Rosenfest ist eine legere Veranstaltung, zu der du auch Freunde mitbringen darfst. Wen hast du denn
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