Flurfunk (German Edition)
Falls sich heute auf dem Rosenfest meiner Eltern die Gelegenheit ergäbe, würde ich Mimi und Tim meine Spinnerei auf jeden Fall beichten.
Auf dem Weg zu meinen Eltern rief meine geliebte Schwester an und sprühte nur so vor guter Laune. Caroline war mal wieder verliebt. Das passierte so häufig, wie ich meine Beine wachsen musste, also alle drei bis vier Wochen.
»Er heißt Stéphane und studiert auch Kunstgeschichte. Wir besuchen die gleiche Vorlesung, das heißt …« Sie hielt inne und kicherte. »Jetzt besuchen wir mehr meine Wohnung.«
Caroline war jedes Mal bis über beide Ohren verknallt, so als entdecke sie das männliche Geschlecht gerade das erste Mal. Die Begeisterung, die sie dann an den Tag legte, sowie das Gefühl, am Boden zerschmettert zu sein, wenn ein Intermezzo nach kurzer Zeit beendet war, kannte ich bereits zur Genüge.
Caroline, mit ihrer lebhaften, übersprudelnden Art und den blitzenden hellen Augen, hatte so viele Verehrer wie andere Leute Selbstzweifel. Ich beschloss, ihr erst mal nichts von Justus Staufen zu sagen, außer dass ich beim Interview dabei gewesen war, was sie kurze Zeit schrecklich aufregend fand, um dann aber gleich wieder zu Stéphane zurückzuschwenken. Mein Einwand, dass sie, sagen wir mal, sehr flexibel war, was Anzahl und Länge ihrer Beziehungen anging, wischte sie mit den Worten weg: »Du wirst doch nicht schon wie unsere Eltern denken. Verheiratet und brav werde ich lange genug sein! Und außerdem, wovon soll ich dann zehren, wenn wir uns nur noch zum Bridgespielen verabreden.«
»Apropos Eltern. Ich bin gerade auf dem Weg zum alljährlichen Rosenfest und beneide dich, dass du in Paris bist und Marlene samt ihrer reizenden Tochter Katharina aus dem Weg gehen kannst. Stell dir vor, bei Mamas letztem Wohltätigkeitsfest haben Marlene und Katharina über nichts anderes als Katharinas Verlobung und baldige Hochzeit gesprochen. Obwohl, das stimmt so nicht ganz. Auf Platz zwei der Themenliste standen wir und unser Singledasein.«
Caroline lachte. »Wer heiratet heute denn noch mit Anfang zwanzig, außer Katharina natürlich. Warum hat sich unsere Mutter ausgerechnet diese Schnepfe als Maßstab für ihre beiden viel entzückenderen Töchter ausgesucht?«
Das war eine gute Frage. Wahrscheinlich stellte Marlene, nachdem ihr Mann sie sehr stilvoll mit seiner Assistentin betrogen und danach verlassen hatte und sie keine andere Beschäftigung mehr als die Tochter hatte, alles, was Katharina machte, als so genial hin, dass sie und meine Mutter angefangen hatten, es zu glauben.
»Lotte, ich muss auflegen. Stéphane klingelt. Grüß Mutti, Vati und natürlich Lenchen von mir.«
Das würde ich bestimmt machen, falls sie sich nicht schon gegenseitig zerfleischt hatten, bis ich ankam, weil Lena ausgiebig über Rosa Luxemburg referierte.
Zum Glück war ich noch rechtzeitig vor den Gästen da und wurde Zeuge, wie meine Mutter wieder einmal generalstabsmäßig Haus- und Partypersonal abordnete und mein Vater sich unter dem Vorwand, er müsse noch Unterlagen durchsehen, verdrückt hatte.
»Nein, die Horsd’œuvres kommen in das hintere Zelt, nicht in den Gartenpavillon … Scharlott , da bist du ja. Kümmerst du dich bitte um das Orchester und den Tenor? Sieh nach, ob sie genügend Verpflegung haben und ob jeder weiß, wo er sitzt. Ich glaube, sie haben noch eine kurze Generalprobe oder stimmen gerade die Instrumente.«
Während ich mich auf den Weg in Richtung Garten zum Orchester machte, gab meine Mutter von der Veranda aus weitere Anweisungen.
»Die Rosen und der Teich müssen noch besser beleuchtet werden. Sobald es dämmert, möchte ich, dass die Lichter angehen und die Rosen angestrahlt werden. Schließlich heißt es Rosenfest, und da sollte man die Rosen auch sehen können. Sie blühen dieses Jahr besonders prächtig …«
Mir spukte ein Vers durch den Kopf, den mir Alexander, mein Schwarm in der dritten Klasse, ins Poesiealbum geschrieben hatte: »Sei stets wie das Veilchen im Moose bescheiden und klein und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.« Damals hatte ich mit dem Spruch nichts anfangen können und war enttäuscht gewesen, dass keine Liebeserklärung wie »Ich schreibe dir aufs letzte Blatt, weil ich dich am liebsten hab« darin gestanden hatte, heute jedoch war mir klar, weshalb aus Alexander und mir nie ein Traumpaar hatte werden können, auch wenn wir pro forma Anfang der vierten Klasse vor der ganzen Grundschule geheiratet hatten, mit
Weitere Kostenlose Bücher