Flurfunk (German Edition)
mich um und sah Justus.
Er ging zusammen mit Annabelle Leiniger, seiner sympathischen Agentin Becker und dem Regisseur seines zweiten Films unter Blitzlichtgewitter über den roten Teppich. Lachte in die Kameras, winkte hier und da und hatte mich innerhalb eines Augenblicks wieder genau da, wo ich das letzte Mal schon gewesen war: völlig hingerissen mit entglittenen Gesichtszügen, einer Ohnmacht nahe, weil ich vergaß zu atmen.
Mit einem Schlag war mir vollkommen egal, ob ich mich lächerlich machte oder nicht; ich wollte einfach in seiner Nähe sein – alles andere war gleichgültig.
Schnell hakte ich mich bei Tim ein und zog ihn über den roten Teppich in den großen Saal des Schlosses, wo Aperitifs gereicht wurden.
Um Justus und seine Begleitungen hatte sich bereits eine Traube Schauspielerkollegen, Musiker und anderer Gestalten der Filmbranche gebildet. Sie kannten sich sicher von verschiedenen Drehs.
»Lotte, starr da nicht so hin. Die denken sonst noch, du bist ein durchgedrehter Fan, der sich reingeschmuggelt hat«, versuchte Tim mich auf den Boden zu bringen.
»Das kommt der Sache doch ziemlich nah!«, scherzte ich, immer noch aus den Augenwinkeln zu Justus hinüberschielend. Er hatte mich bisher nicht entdeckt, sondern unterhielt sich blendend mit diversen Kollegen. Justus stach eindeutig aus dem Pulk hervor, und als ich mich im Saal umschaute, bemerkte ich, dass ich nicht die einzige Bekloppte war, die ihn nicht aus den Augen ließ. Er war begehrt und, wie mir schien, sich dessen nicht bewusst oder schon immun.
»Los, Lotte, reiß dich los. Du wirst ihn heute Abend noch oft genug sehen. Ich hab Hunger. Können wir bitte was zu essen holen?« Schweren Herzens wandte ich mich ab, aber schließlich war ich Tim unendlich dankbar, dass er mich mitgenommen hatte, und zweitens hatte ich selbst vor Aufregung den ganzen Tag nichts gegessen und fürchtete entweder vor Justus ohnmächtig zu werden, was noch die tolle Variante gewesen wäre, oder aber mein Magen würde, wenn ich endlich die Gelegenheit hätte, ihn zu sprechen, laut knurren oder die Aufregung in Blähungen umschlagen, was ich auf keinen Fall riskieren wollte.
Tim besorgte in Honig gebratene Hühnchenschenkel und für jeden einen Mojito.
»Und? Immer noch verliebt, oder war es nur der Restalkohol beim ersten Treffen?«
Ich nahm einen kräftigen Schluck von meinem Drink.
»Immer noch verliebt. Sogar noch mehr, befürchte ich.«
»Na, dann lass uns nach dem Essen gleich mal mit dem Manöver beginnen«, freute sich Tim.
Das Manöver mussten wir jedoch erst mal aufschieben, denn wir wurden gebeten, im Park unsere Kinoplätze einzunehmen. Wir gingen den mit Fackeln beleuchteten Weg entlang und setzten uns auf unsere Plätze. Im Halbdunkel hielt ich Ausschau nach Justus und entdeckte ihn nur einige Stuhlreihen schräg vor mir. Diesen braun gebrannten Nacken hätte ich überall erkannt, schließlich hatte ich vorhin genügend Gelegenheit gehabt, ihn anzustarren. Er beugte sich zu seiner Nachbarin hinüber, die ich als Annabelle Leiniger identifizieren konnte, wobei ich mich nur auf sein umwerfendes Profil mit den sinnlichen Lippen konzentrierte.
Leider wurde ich jäh von Annabelle gestört, die Justus etwas ins Ohr flüsterte.
»Was kichert denn die Leiniger die ganze Zeit so aufgesetzt?« Tim stupste mich an.
Das würde ich auch gern wissen – oder vielleicht auch lieber nicht. Langsam kroch die Eifersucht in mir hoch. Was, wenn die beiden nicht nur bei den Dreharbeiten ein Liebespaar waren? Gab es ja oft genug, dass Schauspieler nicht mehr zwischen Film und Realität unterscheiden konnten.
Tim versuchte so gut es ging zu helfen und Annabelle Leinigers Redefluss zu bremsen und rief die ganze Zeit: »Pst, Ruhe bitte da vorne!«
Der Film zog sich ewig in die Länge, was nicht nur ich fand, wie ich sehen konnte, denn Annabelle setzte ihre persönliche Unterhaltungsoffensive unentwegt fort.
Endlich kam der Abspann. Wir warteten den richtigen Augenblick ab, bis Justus aufstand, und verließen unsere Reihe so gut getimt, dass wir ihm praktisch in die Arme liefen. Unser Plan schien aufzugehen, Justus kam immer näher, und ich wurde immer nervöser. Wir waren fast auf Augenhöhe, als er mich ansah, musterte und ziemlich kühl »Guten Abend, Charlotte« sagte und ohne ein weiteres Wort an mir vorbeizog, gefolgt von Annabelle und meiner Lieblingsfrau des deutschen Showbiz, nämlich seiner Agentin Becker, die sich die Bemerkung »Seit wann schicken
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