Flurfunk (German Edition)
die denn ihre Praktikanten auf solche Veranstaltungen!« nicht verkneifen konnte.
Völlig geschockt und nicht in der Lage, mich weiterzubewegen, stand ich im Weg, bis Tim mich wortlos weiterschob und zu einer Hecke beförderte, wo wir ungestört waren.
»Was war das denn bitte, Lotte? Was hast du dem denn getan?«
Gute Frage! Nahm er mir das Gespräch mit Imka, dessen unfreiwilliger Zeuge er geworden war, doch übel und hatte nur für das Interview gute Miene zum bösen Spiel gemacht? Aber die Reaktion wäre selbst dafür übertrieben gewesen. Was war nur los?
Tim versuchte, mich aufzumuntern.
»Immerhin hat er dich gleich erkannt und wusste, wie du heißt!«
»Auf diese Art der Begrüßung kann ich liebend gern verzichten. Komm, Tim, ich hab genug. Lass uns bitte gehen.«
»Gehen? Jetzt wo es spannend wird! Auf keinen Fall. Ich will wissen, was für ein Problem er mit dir hat. Los, lass uns ins Getümmel stürzen, du musst ihn noch mal länger treffen, um zu sehen, wie er reagiert.«
Der Plan überzeugte mich keineswegs, ich war immer noch vor den Kopf gestoßen ob der offensichtlichen Abfuhr, gleichzeitig wollte auch ich wissen, was los war.
Zu verlieren hatte ich jetzt eh nichts mehr. Tim besorgte mir einen Mojito und zog mich in Richtung Tanzfläche, wo Justus die Hüften schwang. Selbst in benebeltem Zustand sah ich, dass er einer der wenigen Männer war, die tatsächlich tanzen können, ohne übertriebene Balzbewegungen hinzulegen. Oft gab es nichts Schlimmeres als tanzende Männer, bei Justus aber sah es natürlich und sexy aus. Tim nahm mir das Glas aus der Hand und stupste mich in Richtung Justus. Wie erniedrigend! Die letzte dieser Aktionen kannte ich noch aus dem Schullandheim in der siebten Klasse, als sich keiner auf die Tanzfläche getraut hatte.
»Du kommst gefälligst mit, Tim!«
Das musste ich nicht zweimal sagen. Tim war in seinem Element und katapultierte sich und mich zappelnderweise immer näher an Justus und Annabelle, die Flüsterzunge, heran. Annabelle war, was man unter einer Kindfrau verstand: blonder Garçonhaarschnitt, Kindchenschemagesicht mit weit aufgerissenen Augen, Stupsnase und Schmollmund, zierliche Gestalt, aber genug Oberweite – ob echt oder nachgeholfen, sei dahingestellt.
Sie weckte den Beschützerinstinkt in Männern und tanzte elfengleich und leicht verloren vor sich hin, so als ob sie den Rest der Welt gar nicht wahrnahm, die Welt sie hingegen schon.
Plötzlich war Tim verschwunden, und ich tanzte allein in der Menge, bedacht, nicht in Justus’ Richtung zu schauen.
Wenige Augenblicke später war Tim außer Atem wieder da und lächelte zufrieden.
»Was führst du denn im Schilde?«
»Überraschung!« Das konnte ja heiter werden. Plötzlich stoppte die Musik und der DJ sagte ins Mikro: »Auf besonderen Wunsch eines Gastes …«, und legte Dancing Queen von Abba auf.
Tim war nicht mehr zu halten.
»Sag nicht, dass das deine Überraschung ist? Diese Schmonzette! Was für ein Klischee!«, rief ich ihm zu.
»Sei froh, ich hätte mir auch I will survive von Gloria Gaynor wünschen können. Aber Dancing Queen ist der Flirtsong schlechthin.«
»Ja, vielleicht auf dem Christopher Street Day, mein Lieber!« Ich wollte die Tanzfläche verlassen, doch Tim hielt mich zurück.
»Mit Geschmack hat das nichts zu tun. Es gibt Songs, die die niederen Instinkte ansprechen, gegen die man sich nicht wehren kann. Und dieser Song gehört dazu … Sieh mal, Justus tanzt auch brav.«
War das nun ein gutes oder schlechtes Zeichen?
Ich ließ mich überreden.
Tim, der im nächsten Leben Choreograf werden wollte, begann, mich zu allem Übel noch zu coachen.
»Du musst aussehen, als ob du den Mörderspaß hast! Wirf deinen Kopf zurück, fahr dir durch die Haare, los und jetzt die Hüften. Dreh dich und wackel mehr mit den Schultern. So und jetzt schaust du rüber, singst mit und lächelst Justus an.«
Das waren ja gleich drei Dinge auf einmal! Doch da ich völlig verunsichert war, befolgte ich Tims Anweisungen.
»You are the daaaancing queen, young and sweet only seventeen« , sang ich.
»Ja, weiter so. Er schaut rüber. Er beobachtet dich. Wirf die Haare. Sing weiter!«
»Dancing queen, feel the beat from the tambourine, oh yeah!«
»Du machst das super, Justus schaut immer noch. So und jetzt sieh wie zufällig rüber, und wenn er schaut, lächle dezent und sieh dann sofort wieder weg.«
Ich tat, wie mir geheißen.
»You can dance, you can jiiiive having the time of your
Weitere Kostenlose Bücher