Flurfunk (German Edition)
Dauerschleife.
sechs »Lotte, komm schnell. Wir brauchen deine Hilfe!« Mimi war furchtbar aufgeregt. Trotz der wenigen Stunden Schlaf war ich am nächsten Morgen erstaunlich fit.
»Was ist denn passiert?«
»Pst, nicht so laut, die tauchen immer auf, wenn man es gerade nicht erwartet. Sie können dich sicher hören.«
Ich verstand nur Bahnhof und war an der Reihe, Mimi besorgt anzusehen.
»Mimi, du musst dich schon klarer ausdrücken. Im Moment hört sich das nur nach einem psychotischen Schub an. Wer kann uns hören?«
Sie blickte sich vorsichtig um, schaute unter die Tische und flüsterte: »Die Kinder.«
Okay. Das war wirklich beängstigend. Oder hatte es jemand bloß witzig gefunden, Mimi Speed in den Kaffee zu mischen? Gerade wollte ich ihr vorschlagen, ein wenig an die frische Luft zu gehen, als Felix an unseren Tisch kam, ebenfalls komplett verstört, und leise fragte: »Waren sie schon da?«
Mir reichte es.
»Sagt mal, wird das heute Mottotag zum Thema Paranoia, oder habe ich was nicht mitbekommen? Wer sind ›sie‹? Und um welche ›Kinder‹ geht’s?«
Beide zogen mich in den Konferenzraum und schlossen die Tür.
Felix legte los. »Lotte, wenn es etwas gibt, wovor du dich hier wirklich fürchten musst, dann sind es drei Dinge. Die beiden Kinder vom Geschäftsführer, die beiden Kinder vom Geschäftsführer und die beiden Kinder vom Geschäftsführer.«
»Was haben diese Kinder euch denn getan?«
Felix lachte verächtlich. »Ha, uns noch nichts, aber wir haben sie bisher auch immer zu pleasen gewusst. Ich weiß, es klingt für jeden, der noch nicht so lange hier ist, immer total absurd, aber diese kleinen Kröten haben garantiert vier Entlassungen auf ihrem Gewissen.«
»Wie das?«
Mimi, die vor lauter Aufregung rote Flecken im Gesicht bekam und hektisch eine nach der anderen rauchte, erklärte: »Der Chef glaubt, dass seine Kinder perfekt unsere Zielgruppe vertreten, und wenn den beiden eine Show nicht gefällt, kann es auch dem Rest der Welt nicht gefallen.«
Das wurde ja immer absurder.
»Und wie alt sind die Kinder?«, fragte ich nach.
»Das ist ja der Witz! Der Junge ist gerade mal neun geworden und das Mädchen sieben. Also meilenweit entfernt von unserer Zielgruppe. Du kannst dir vorstellen, welchen Geschmack ein Neunjähriger und eine Siebenjährige haben. Die haben sich gerade von den Teletubbies verabschiedet und entdecken zum ersten Mal Pop, aber von der ganz üblen Sorte. Und wir dürfen jedes Jahr vor der TV -plus -Preisverleihung erraten, welche Helden die Knirpse gerade haben, um das in Daddys Augen richtige Line-up an den Start zu bringen. Und wenn die Kinder die Veranstaltung ›kacke‹ fanden, wird der Papa richtig böse und zieht auch schon mal Konsequenzen.«
»Aber normal wird doch so was an der Quote festgemacht, wie eine Sendung läuft.« Kopfschüttelnd blickte ich von Felix zu Mimi und zurück.
Felix kicherte hysterisch. »Ja, nicht! Sollte man meinen! Aber die TV -plus -Preisverleihung wird als Imagegeschichte gesehen und soll die Marke TV -plus stärken. Eine Geschichte für die ganze Familie, vor allem die Kleinen, die zu den Zuschauern von morgen, sprich treuen TV -plus -Zuschauern, herangezüchtet werden sollen. Kannst du jetzt verstehen, weshalb bei diesem Event nur eins zählt, nämlich diese Kinder glücklich zu machen? Die werden zugeschleimt und mehr hofiert als Michael Jackson, wenn er käme. Wir haben da immer zwei Mann abgestellt, die nichts anderes machen, als sich von den Bälgern auf der Veranstaltung gängeln zu lassen, und die jeden Wunsch der Kinder erfüllen müssen. Ich habe das einmal gemacht und wollte danach ernsthaft kündigen, wenn Ralph, der Programmchef, mich nicht überzeugt hätte zu bleiben …«
Aha. Langsam verstand ich, wie das hier lief. »Und die Kinder sind heute da?«
Mimi nickte.
»Wir müssen unbedingt herausbekommen, auf wen sie dieses Jahr stehen, damit die richtigen Künstler gebucht werden. Aber die Biester sind natürlich nicht dumm. Die haben natürlich gleich geblickt, welche Macht sie besitzen, und spielen das genussvoll aus.«
»Wie bitte? Mit sieben und neun Jahren? Wo gibt’s denn so was?« In diesem zarten Alter hatte ich außer Ballett, Pferden und Klavierunterricht nichts anderes im Kopf gehabt, zumindest bestimmt nicht, wie man eine Truppe Erwachsener erzittern lässt.
Felix seufzte. »Ja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«
Plötzlich rief eine lispelnde Mädchenstimme von der Tür her: »Was
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