Flurfunk (German Edition)
Denk doch an deinen Lieblingssong. ›Sind so kleine Hände, darf man niemals schlagen‹«, sang ich und schlug einen gefährlichen Haken durchs Wohnzimmer.
Lena bekam mich aber zu fassen, warf mich aufs Sofa und drückte mir kichernd ein Kissen aufs Gesicht, bis ich nach Luft japsend um Vergebung winselte.
Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten, machte sich Lena auf den Weg zu ihrer Verräterverabredung.
»Und was machst du heute Abend? Gehst du noch aus?«
Ich verneinte. Der Tag war anstrengend genug gewesen. Ich würde mich noch ein wenig auf unsere Terrasse setzen und meinen neuen Gedichtband lesen.
Mit einer leichten Wolldecke, japanischen Reiscrackern und meiner Katze Cara zu den Füßen machte ich es mir auf der Terrasse in dem riesigen Korbsessel gemütlich. Von weitem näherte sich ein grollendes Gewitter. Diese Stimmung im Sommer liebte ich. Ich legte eine alte Calypsoplatte auf, genau das Richtige zum Abkühlen nach einem heißen Tag, und schmökerte in einem Buch. Irgendwann wurde ich müde, begann zu dösen und malte mir die tollsten Szenen mit Justus aus. Wie es wäre, ihn zu küssen, und wie fühlte es sich wohl an, wenn er mich berührte.
»Lotte, wach auf, du bist eingeschlafen.«
Lena war zurück, und draußen herrschte inzwischen vollkommene Dunkelheit. Es musste geregnet haben, denn der Rasen war nass, und die Veranda hatte einige Tropfen abbekommen.
»Wie spät ist es denn?«
Lena sah auf ihre Uhr.
»Kurz nach zwölf.«
An ihrem Gesichtsausdruck versuchte ich zu erkennen, wie der Abend gelaufen war, konnte aber nichts ablesen.
»Bist du jetzt Mamas neue Busenfreundin? Habt ihr euch zum Bridge verabredet? Erzähl doch, wie es war?«
»Durchwachsen, würde ich sagen. Ich soll dich von deiner Mutter grüßen und ausrichten, ich zitiere: ›Du sollst dir ein Beispiel an mir nehmen und dich in Zukunft auch in der richtigen Gesellschaft bewegen.‹ Dass deine Mutter ausgerechnet mich dir mal als leuchtendes Vorbild vorhält, hätte ich auch nicht zu träumen gewagt. Das ist ein schlechtes Zeichen!«
Angesichts der Sorgen, die sich Lena machte, ob sie jetzt zu den Großkapitalisten übergelaufen und damit ihre Seele und Identität verkauft hatte, weil sie sich einmal mit Casper getroffen hatte, musste ich grinsen.
»Hey, wer weiß. Vielleicht löst du Katharina sogar ab, und künftig muss ich mir ein Beispiel an dir nehmen. ›Sieh mal, Lotte, Lena hat sich Casper geangelt! Tritt doch auch der Antifa bei, mach ’ne Unterschriftenaktion und steige vom Auto aufs Rad um. Das scheint ja zu helfen. Ach, und in Zukunft kaufst du gefälligst deine Klamotten auf dem Flohmarkt, ist ja auch viel origineller.‹ Katharina wird sicher sauer, wenn man ihr den Vorbildstammplatz streitig macht.«
Lena sah mich skeptisch an.
»Und jetzt erzähl! Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Wo hast du gesessen? Neben meinen Eltern vielleicht oder gar Marlene?« Ich musste allein bei der Vorstellung kichern.
»Schlimmer. Meine Tischnachbarin war niemand anderes als unser geschätztes Miststück Katharina, samt Verlobtem, wobei der eine wahre Wohltat im Vergleich zu ihr war.«
So etwas nannte man wohl Realsatire.
»Auweia, dann war es sicher richtig übel, bist du denn überhaupt dazu gekommen, mit Casper ein Gespräch zu führen?«
»Zum Glück ja. Stell dir vor, Casper schaffte es, Katharina höflich zu ignorieren und mit mir zu sprechen.«
»Hat es gefunkt?«
»Kann ich noch nicht sagen. Er ist auf alle Fälle wirklich interessant, auch überhaupt kein Schnösel und hat sogar vernünftige Ansichten.«
Aha – wenn seine Ansichten selbst Lena gefielen, konnte man davon ausgehen, dass er tatsächlich kein Schnösel war.
»Und warum bist du dann nicht aufgedrehter? Hört sich doch gut an.«
Lena druckste herum.
»Na ja. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber Katharina hat den ganzen Abend davon gesprochen, wir sollten mal zu viert weggehen. Ich glaube, Yannick langweilt sich bereits mit ihr, denn viel zu sagen hatten sich die beiden nicht. Anfangs bin ich über ihren Vorschlag einfach hinweggegangen, aber sie war so was von penetrant, dass Casper irgendwann zugesagt hat, und jetzt bin ich tatsächlich mit der Sumpfkuh im Pärchenvierer verabredet! Lotte, ich geh nicht mit denen alleine weg. Du musst mitkommen!«
Ha! Das war gut! Ausgerechnet Lena sollte sich mit Katharina treffen. Größere Gegensätze gab es nicht. Wieso nur legte Katharina so viel Wert darauf, mit Lena etwas zu
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