Flußfahrt
noch dämmerig. Der Mond schien nicht mehr durchs Fenster herein auf den Fußboden. Ich sah hinaus in den anbrechenden Morgen, was ich in den letzten zehn Jahren nur höchst selten getan hatte, und Martha, in einen gerüschten Morgenmantel gehüllt, kam leise ins Zimmer und ging dann an mir vorbei in die Küche. An der Tür blieb sie stehen.
»Hast du Dean irgendwo gesehen?« fragte sie.
»Wieso? Ist er denn nicht in seinem Zimmer?«
Da, wo meine Ausrüstung auf dem Fußboden lag, dunkel wie ein Schatten, der sich verfestigt hatte, erklang Deans Lachen, und dann tauchte er dahinter auf. In der Hand hatte er einen großen Jagddolch, den er jedoch nicht aus dem Futteral gezogen hatte. Es war eigenartig. Einerseits schien er durchaus zu wissen, wie gefährlich dieses Messer war, andererseits aber auch wieder nicht, und während er es hin und her schwenkte und mich damit bedrohte – und das geschah mit der größten Zärtlichkeit –, sah ich mich in den gleichen seltsam magischen Tanz gezogen wie er, sehr wohl wissend, zu was so ein Messer fähig war, ohne es doch auch nur einen Augenblick lang für möglich zu halten.
Schließlich nahm ich es ihm weg und warf es wieder dahin, wo er es hergeholt hatte, auf den dunklen Haufen der übrigen Ausrüstung. Erst jetzt fühlte ich die Kälte im Zimmer und bemerkte, wie vom Fußboden trotz des Teppichs eiskalte Luft aufstieg und daß ich unter dem Bademantel nackt war. Auf der Luftmatratze, dem Schlafsack und dem dünnen Nylonseil lagen das Messer, mein Bogen und vier Pfeile. Das Seil hatte ich aus einem plötzlichen Impuls heraus in einem Laden für überschüssigen Armeebedarf gekauft, hauptsächlich weil Lewis mir einmal gesagt hatte, man solle ›niemals ohne Seil in die Wälder gehen‹. Ich hob den Bogen auf und genoß es, wie kühl und glatt er sich an den beiden Enden anfühlte.
Es war ein guter Bogen, wahrscheinlich ein besserer, als ich ihn verdiente. Es war keine der gängigen Marken – kein Drake beispielsweise und kein Ben Pearson oder Howatt oder Bear –, sondern er war handgefertigt und schien alle Qualitäten der anderen in sich zu vereinigen; jedenfalls sah er besser aus und schoß auch besser als jeder von diesen. Der Griffabschnitt lag schwer in der Hand; das Ganze machte den Eindruck eines Versuchsbogens. Mit der Zeit hatte ich mich aber an das Gewicht und die tiefe Einkerbung der Griffpartie gewöhnt, und ich wäre mit einem kleineren Griff schlechter zurechtgekommen. Es war ein gebrauchter Bogen, den Lewis von einem ehemaligen Champion gekauft hatte, der ihn selbst angefertigt hatte und mit der gleichen Art Bogen schoß, und Lewis rühmte mir ständig seine Vorzüge, die, soweit ich mich erinnere, zunächst rein psychologischer Natur zu sein schienen, mir dann aber allmählich recht real vorkamen. Beim Losschnellen des Pfeils spürte die Hand nur einen sehr geringen Rückstoß. Der Pfeil ging vielmehr weich und ruhig ab – da war nichts von dem Schnappen und Stoßen von Lewis’ Bögen. Die Abschußgeschwindigkeit hielt sich in Grenzen; als ich zum erstenmal mit ihm schoß, hatte ich das Gefühl, sie sei schrecklich niedrig, aber als ich dann das Ziel prüfte, entdeckte ich, daß der Bogen noch auf sechzig Meter Entfernung genau auf den Punkt hielt. Wenn man die Sehne losgelassen hatte, schien der Bogen zunächst zu zögern, aber dann gewannen seine beiden Arme eine enorme Geschwindigkeit, und der Pfeil sauste von der Sehne, als sei er nicht geschossen, sondern katapultiert worden. Die Flugbahn war so flach, wie ich es noch bei keinem anderen Bogen erlebt hatte, und das Links-rechts-Problem trat längst nicht so in Erscheinung wie bei Lewis’ Bögen. Als ich jetzt den Bogen in der Hand hielt und ihn betrachtete mit seinen weißen Gordon-Glasfiber-Schichten, schien es mir, daß es genau der richtige Bogen für mich war. Ich verließ mich auf ihn und glaubte an ihn, obgleich die Beschichtung schon ein wenig zu stark strapaziert worden war, so daß sich an den Rändern des oberen Bogenarmes einige Glasfibersplitter lösten. Außerdem hatte ich eine neue Sehne. Im Gegensatz zu Lewis benutzte ich eine Sehne, die eine Visieröffnung hatte, und das war wirklich etwas Gutes. Martha und ich hatten die Dacronstränge getrennt, mit einem Druckknopf auseinandergeklemmt und die so entstandene Öffnung mit einem ganz dünnen, orangefarbenen Draht umwickelt. Es war eine hübsche Bogensehne, und es machte mir Spaß, sie zu benutzen. Wenn der Bogen voll gespannt
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