Flußfahrt
hatte den Lauf des Gewehrs genau auf die Pfeilspitze in seiner Brust gerichtet, und meine Zähne fühlten sich eisig an. Ich war entschlossen, alles mit einer einzigen Bewegung, mit einem kurzen Reißen am Abzugsstrick hinter mich zu bringen. Aber es war nicht mehr nötig. Er krümmte sich zusammen und stürzte vornüber mit dem Gesicht auf meine weißen Tennisschuhe. Ein Zittern durchlief ihn bis zu den Füßen und verebbte dann allmählich. Er öffnete seinen mit Blut gefüllten Mund, und eine hellrote Blase formte sich zwischen seinen Lippen. Ich trat einen Schritt zurück, um die ganze Szene noch einmal zu betrachten und mir das Geschehene zu vergegenwärtigen.
Bobby hatte sich auf den einen Ellbogen gestützt, und seine Augen waren so rot wie die Blase zwischen den Lippen des Mannes. Er stand auf und sah mich an. Plötzlich wurde mir bewußt, daß ich das Gewehr auf ihn gerichtet hatte, daß der Doppellauf dem Blick meiner Augen folgte. Ich senkte das Gewehr.
Was sollte ich zu Bobby sagen? »Ja …«
»O Gott«, sagte Bobby. »O Gott.«
»Bist du okay?« fragte ich, denn ich mußte es wissen, obwohl mir die Direktheit meiner Frage peinlich war.
Bobby errötete und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich weiß nicht.«
Ich stand da, und er lag vor mir, den Kopf in die Hand gestützt. Wir blickten beide angestrengt geradeaus. Um uns war Stille. Der Mann mit dem Aluminiumpfeil im Körper lag am Boden, den Kopf dicht an der Schulter, und seine rechte Hand berührte leicht die Spitze des Pfeils. Hinter ihm leuchteten die blauen und silbernen Federn von Lewis’ Pfeil. Sie wirkten künstlich und unnatürlich in diesem Wald. Minutenlang geschah nichts. Ich fragte mich, ob der andere zurückkommen werde, bevor Lewis da war; und ich malte mir die Szene aus, wie Lewis mit dem Bogen in der Hand auf der einen Seite aus dem Wald treten würde und der andere Mann auf der anderen Seite. Es würde zu einem Zweikampf kommen, dessen Einzelheiten ich mir jedoch nicht vorstellen konnte. Ich dachte angestrengt nach, wie sich alles abspielen würde, als ich eine Bewegung hörte. Die tiefhängenden Zweige einer großen Wassereiche wurden auseinandergebogen, und Lewis trat hervor, kam vorsichtig auf die Lichtung und hatte bereits einen zweiten hellglänzenden Pfeil angelegt. Drew folgte ihm. In der einen Hand hielt er ein Kanupaddel wie einen Baseballschläger. Lewis trat zwischen mich und Bobby, stieg über den Mann am Boden hinweg und setzte das Bogenende vorsichtig auf ein am Boden liegendes Blatt auf. Drew ging zu Bobby. Ich hatte das Gewehr so lange gehalten, daß es mir jetzt seltsam vorkam, den Lauf zu senken, so daß ein Schuß nur noch den Waldboden hätte treffen können. Dennoch senkte ich ihn, und Lewis und ich sahen uns über den Toten hinweg an. Seine Augen waren klar und lebendig; er lächelte ungezwungen und freundlich.
»Also, was soll man nun dazu sagen? Was soll man bloß dazu sagen?«
Ich ging zu Bobby und Drew hinüber, obgleich ich nicht wußte, was ich dort wollte. Ich hatte alles beobachtet, was mit Bobby geschehen war, ich hatte seine Schreie und sein Stöhnen gehört. Jetzt wollte ich ihn beruhigen, wollte ihm sagen, daß nun alles vorbei sei, daß keiner darüber reden würde, und wenn wir erst wieder aus dem Wald heraus und in den Kanus wären, sei alles vergessen. Aber ich wußte nicht, wie ich es ihm sagen sollte oder wie ich ihn nach seinem Zustand fragen konnte, ob er irgendwelche Verletzungen habe. Ihm solche Fragen zu stellen wäre unvorstellbar lächerlich und demütigend gewesen. Aber davon konnte auch gar keine Rede sein, denn eine Mauer der Abwehr hielt uns von ihm fern. Er stand auf und wich zurück, immer noch nackt bis zu den Hüften, die Geschlechtsteile vor Schmerzen geschrumpft.
Ich nahm seine Hose und die Unterhose auf und gab ihm beides, und abwesend griff er danach. Er nahm ein Taschentuch heraus und ging hinter einen Busch. Das Gewehr am Lauf hinter mir herschleifend, so wie ich es bei dem Hageren gesehen hatte, als er aus dem Wald gekommen war, ging ich zurück zu Lewis, der auf seinem Bogen lehnte und zum Fluß hinuntersah.
»Ich glaube, es war das einzige, was ich tun konnte«, sagte er, ohne mich anzusehen.
»Bestimmt«, sagte ich, obwohl ich dessen nicht ganz sicher war. »Ich dachte, wir wären geliefert.«
Lewis sah in die Richtung, in der Bobby verschwunden war, und ich hatte das Gefühl, mich präziser ausdrücken zu müssen.
»Ich war sicher, sie
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