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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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weiß ich überhaupt nichts.«
    Wir wandten uns alle Bobby zu, der inzwischen zu uns herangekommen war. Er schüttelte seinen glühenden Kopf.
    »Man braucht nicht viel über die Gesetze zu wissen. Man kann sich auch so vorstellen, daß es ein Verhör geben wird, wenn wir diesen Kerl hier aus den Bergen nach unten schaffen und ihn dem Sheriff übergeben. Man wird eine Untersuchung einleiten, und wir werden ganz sicher vor Gericht gestellt«, sagte Lewis. »Ich weiß nicht, auf was die Anklage lauten würde, aber wir hätten die Geschworenen bestimmt gegen uns. Das ist sonnenklar.«
    »Na und?« fragte Drew.
    »Also gut«, sagte Lewis und wechselte das Standbein. »Wir haben einen Menschen getötet. In den Rücken geschossen. Und wir haben nicht nur einen armen Schlucker getötet, sondern einen Weißen, der hier aus der Gegend stammt. Könnt ihr euch ausmalen, was sich da tun wird?«
    »Gut«, sagte Drew. »Dann male mal. Wir hören zu.«
    Lewis seufzte und kratzte sich am Kopf. »Wir sollten uns erst einmal beruhigen. Es hat keinen Zweck, daß wir uns hier wie verrückte Pfadfinder aufführen, die unbedingt das Richtige tun wollen. Das Richtige gibt’s in diesem Fall gar nicht.«
    »Doch, gibt es doch«, sagte Drew. »Es gibt nur eins.«
    Ich dachte voraus und sah nichts als schlimmen Ärger für den Rest meines Lebens. Ich habe immer eine Heidenangst gehabt, etwas mit der Polizei zu tun zu haben. Beim Anblick einer Polizeiuniform wird mir heiß und kalt. Ich spürte, wie ich in der Stille rascher atmete, und einen Augenblick lang hörte ich das Rauschen des Flusses wie ein Geräusch durch eine geschlossene Tür.
    »Wir sollten es uns schwer überlegen, ehe wir hier oben in den Bergen eine Gerichtsverhandlung riskieren. Wir wissen nicht, wer dieser Mann ist, aber wir wissen, daß er hier oben gelebt hat. Er kann ein ausgebrochener Sträfling sein, oder er kann heimlich Whiskey gebrannt haben, oder er ist einfach nur der Vater, Bruder oder Vetter von irgendwem hier auf dem Land. Ich garantiere euch, der hat Verwandte in der ganzen Umgegend. Hier oben ist jeder mit jedem irgendwie verwandt. Und außerdem müßt ihr auch daran denken, daß die Leute hier voller Ressentiments wegen des Staudamms sind. Eine Reihe von Friedhöfen müssen verlegt werden, wie damals im Tennesseetal. Und so weiter. Fremde mögen die hier nicht. Und ich habe absolut keine Lust, wieder hier raufzukommen, bloß weil ich diesem Kerl in den Rücken geschossen habe. Und es mit lauter Geschworenen zu tun zu haben, die alle seine Vettern oder Brüder sind. Oder sogar seine Eltern. Das wäre durchaus drin.«
    Er hatte recht. Ich horchte nach dem Wald und dem Fluß hin, um festzustellen, ob ich eine Antwort erhielt. Ich sah mich und die anderen wochenlang in irgendeinem ländlichen Gefängnis verkommen, zusammen mit irgendwelchen Säufern, auf Sirup und Pökelfleisch gesetzt. Ich sah mich irgendwie die Zeit totschlagen, um nicht vor Angst zu sterben, sah mich mit Anwälten verhandeln und Monat für Monat ihre Honorare bezahlen. Vielleicht gegen eine Kaution freikommen – ich hatte keine Ahnung, ob das in diesem Fall möglich war – und meine Familie in das ganze Schlamassel hineinziehen. Ich konnte sie nicht dazu zwingen, sich mit dem Leben, dem Tod und der Identität dieses widerlichen, nutzlosen Kerls zu meinen Füßen zu beschäftigen, der die Pfeilspitze mit der einen Hand festhielt und dessen blutige Blase auf den Lippen jetzt platzte und ein schmales Rinnsal von Blut bildete, das unter seinem Ohr langsam zu einem dicken Tropfen wurde. Zugegeben, Lewis steckte viel tiefer in der Sache drin als wir, aber wir alle hatten eine Menge zu verlieren. Allein schon die Presseberichte über uns und den Mordfall würden kaum zu überstehen sein. All das wollte ich nicht, wenn es sich irgendwie umgehen ließ.
    »Was meinst du, Bobby?« fragte Lewis, und ich wußte, daß er sich Bobbys Entscheidung fügen würde. Bobby saß auf dem Baumstamm, über dem er noch vor kurzem gelegen hatte; er hatte das Kinn in die eine Hand gestützt und hielt die andere über die Augen. Als er jetzt aufstand und zu dem toten Mann hinging, schien er um zwanzig Jahre gealtert. Und dann, in einem Ausbruch, der so plötzlich kam wie etwas aus einer anderen Welt, trat er dem Toten ins Gesicht, und dann noch einmal. Lewis riß ihn an den Schultern zurück. Dann ließ er ihn los, und Bobby wandte sich um und ging weg.
    »Und was meinst du, Ed?« fragte Lewis mich.
    »Mein Gott, ich

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