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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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würden uns umbringen.«
    »Das hätten sie vermutlich auch getan. In diesem Staat steht jedenfalls Todesstrafe auf Päderastie. Widernatürliche Unzucht. Und dazu noch unter Bedrohung mit einer Waffe … Nein, die hätten euch bestimmt nicht laufenlassen. Warum auch?«
    »Wie seid ihr dahintergekommen?«
    »Wir hörten Bobbys Schreie und dachten zuerst, einer von euch wäre vielleicht von einer Schlange gebissen worden. Wir wollten sofort zu euch laufen, aber dann fiel mir ein, daß, wenn es sich wirklich um einen Schlangenbiß handelte, der eine von euch für den anderen genausoviel tun konnte wie drei zusammen. Für den Fall aber, daß ihr Ärger mit anderen Leuten hattet, mußten wir uns unbemerkt ranschleichen. Das habe ich auch Drew gesagt.«
    »Was habt ihr also gemacht?«
    »Wir fuhren ungefähr fünfzig Meter in den kleinen Wildbach rein, sind dann ausgestiegen und haben das Boot ins Gebüsch gezogen; ich hab meinen Bogen gespannt und einen Pfeil angelegt, und dann kamen wir bis auf etwa dreißig Meter an die Stelle heran, wo ihr wart. Als ich vier Leute sah, suchte ich sofort nach einem Platz, von wo aus ich durch das Gezweig schießen konnte. Zuerst wußte ich natürlich nicht, was los war. Ich habe mir aber gleich das Richtige gedacht. Tut mir leid, daß ich nichts für Bobby tun konnte … Jedenfalls habe ich nichts Falsches gemacht, sonst hätte ich womöglich Bobby getroffen. Erst als der Kerl wieder auf die Beine kam, legte ich auf ihn an und wartete ab.«
    »Und worauf hast du gewartet?«
    »Ich konnte nur schießen, wenn das Gewehr nicht auf dich oder auf Bobby gerichtet war. Ich brauchte nur auf diesen Augenblick zu warten. Der eine Bursche hatte ja noch nichts unternommen, und ich war ziemlich sicher, daß er dem anderen das Gewehr geben würde. Ich hatte nur Angst, daß du zwischen ihn und mich geraten könntest. Aber ich hatte ihn die ganze Zeit im Ziel und brauchte nur am Pfeil entlangzusehen. Ich hielt den Bogen mindestens eine Minute lang gespannt, glaube ich. Es wäre bestimmt ein leichterer Schuß geworden, wenn ich nicht so lange hätte draufzuhalten müssen. Aber, na ja, es war auch so nicht sehr schwer. Ich wußte, daß ich ihn nicht verfehlen würde; ich habe versucht, seinen Rücken zu treffen, etwas links. Er hat sich bewegt, sonst hätte es ihn da erwischt. Schon als ich losließ, wußte ich, daß ich getroffen hatte.«
    »Du hast ihn erwischt«, sagte ich. »Und was sollen wir jetzt mit ihm machen?«
    Drew kam wieder zu uns herüber. Er rieb den Dreck von seinen Händen und wischte sie sich an den Hosenbeinen ab.
    »Wir können nur eins machen«, sagte er. »Die Leiche ins Kanu legen, sie nach Aintry bringen und der Polizei übergeben. Ihnen die ganze Sache erzählen.«
    »Was erzählen?« fragte Lewis.
    »Was passiert ist«, sagte Drew herausfordernd. »Es war schließlich Notwehr. Sie haben unter Drohung mit der Waffe zwei von uns sexuell überfallen, und wie du ganz richtig gesagt hast, du konntest nichts anderes tun.«
    »Nichts anderes, als ihm einen Pfeil in den Rücken jagen?« fragte Lewis ironisch.
    »Na, du hast es schließlich getan«, sagte Drew.
    »Und was hättest du getan?«
    »Das spielt doch überhaupt keine Rolle, was ich getan hätte«, sagte Drew unbeirrt. »Aber ich kann dir verraten, ich glaube nicht …«
    »Was glaubst du nicht?«
    »Wartet mal«, unterbrach ich. »Es ist jetzt ganz einerlei, was wir hätten tun sollen. Er ist hier, und wir sind hier. Wir haben ja nicht angefangen. Wir haben nicht darum gebeten. Aber was jetzt?«
    Neben meinen Füßen bewegte sich etwas. Ich sah nach unten, und der Mann schüttelte seinen Kopf, als könnte er etwas nicht fassen, stöhnte einmal lang auf und sank wieder zusammen. Drew und Lewis beugten sich zu ihm hinunter.
    »Ist er tot?« fragte ich. Ich hatte ihn bereits als tot betrachtet und konnte mir nicht vorstellen, wieso er sich noch bewegte und stöhnte.
    »Jetzt ist er’s«, sagte Lewis, ohne aufzublicken. »Ganz schön tot. Wir hätten ihn sowieso nicht mehr retten können. Es hat ihn glatt durchbohrt.«
    Lewis und Drew richteten sich wieder auf, und wir setzten unsere Überlegungen fort.
    »Laßt uns doch mal genau nachdenken«, sagte Lewis. »Beruhigen wir uns, und denken wir nach! Kennt einer von euch die Gesetze genau?«
    »Ich bin ein einziges Mal Geschworener gewesen«, sagte Drew.
    »Einmal mehr als ich«, sagte ich. »Und über die verschiedenen Definitionen von Mord, Totschlag und fahrlässiger Tötung

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