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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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meinem Kopf in dem Baum steckte, und ich sah die Blutäderchen in den Augen des Hageren. Das war alles. Ich war unfähig zu denken. Der Bärtige kam auf mich zu und trat hinter mich. Der Baum bebte, und ich atmete dankbar große Mengen Luft ein. Ich kippte nach vorn und konnte mich nur mit Mühe fangen, denn der Hagere hielt mir das Gewehr unter die Nase. Es war ein seltsames Gefühl, noch komischer, wenn ich daran dachte, daß mein Gehirn, das sich in diesem Augenblick mit Dean und Martha beschäftigte, im nächsten Augenblick vielleicht schon wie irgendwelche fremde Materie über Büsche und Zweige verspritzt wäre.
    »Du bist bloß ein fetter Glatzkopf, was?« sagte der Hagere.
    »Was wollen Sie denn von mir hören?« sagte ich. »Ja, ich bin glatzköpfig und fett. Okay?«
    »Du bist haarig wie ‘n gottverdammter Hund, was?«
    »Wie manche Hunde, nehme ich an.«
    »Was, verflucht noch mal …« sagte er und wandte sich halb dem anderen zu. »Der Kahlkopf hat Haare auf ‘n Zähnen«, sagte der andere.
    »Stimmt«, sagte der Hagere. »Halt ihm das hier vor die Nase.«
    Dann drehte er sich wieder mir zu und gab dem anderen das Gewehr, ohne hinzusehen. Einen Augenblick lang schien es in der Luft zu schweben.
    Er sagte zu mir: »Fall auf die Knie und bete, mein Junge. Und bete gut, du hast es nötig.«
    Ich kniete mich hin. Als meine Knie den Boden berührten, hörte ich hinter mir im Wald ein Geräusch, ein Schnappen und Schwirren, ein Geräusch wie von einem gespannten Gummiband, das plötzlich losgelassen wird, und wie von einer Sichel, die durchs Gras fährt. Der ältere stand da, den Gewehrlauf in der Hand, noch immer den triumphierenden Ausdruck in seinem stupiden Gesicht, und aus seiner Brust ragte plötzlich ein leuchtendroter Pfeil hervor.
    Der Pfeil war so unvermittelt da, als sei er aus dem Innern des Körpers hervorgedrungen. Keiner von uns begriff. Wir waren wie erstarrt. Der Hagere stand vor mir mit aufgeknöpfter Hose, ich kniete auf dem Boden und blinzelte in die Bäume über uns, und Bobby rollte sich zur Seite, aus meinem Blickfeld heraus, ins Gebüsch. Das Gewehr fiel zu Boden, und ich machte einen schwachen Versuch, es zu ergreifen, als der Hagere wie ein Tier in die gleiche Richtung sprang. Ich griff mit beiden Händen nach dem Kolben, und wenn ich ihn zu mir hätte heranziehen können, hätte ich den Mann in der nächsten Sekunde abgeknallt. Er hielt den Lauf nur mit unsicherem Griff, wußte aber, daß ich das Gewehr besser gepackt hatte, und mußte wohl ahnen, daß ich nur einen Wunsch hatte. Er sprang zur Seite und war im Wald verschwunden, aber nicht in der Richtung, aus der der Pfeil gekommen sein mußte.
    Ich stand auf, das Gewehr und die Macht in meinen Händen, und wickelte mir den Strick vom Abzug um die rechte Hand. Ich schwenkte den Lauf in alle Richtungen, um den Wald und die ganze Welt im Visier zu haben. Aber außer Bobby, dem getroffenen Mann und mir war niemand in der Lichtung. Bobby lag immer noch am Boden, aber jetzt hob er wenigstens den Kopf. Soviel begriff ich noch, aber irgendwie war mein Bild von Bobby, dem Wald und dem Fluß plötzlich verwischt.
    Der Mann stand immer noch da, den Pfeil in der Brust. Aber mein Blick schien ihn nicht zu erfassen, ich konnte nicht glauben, daß er wirklich da war. Er war wie ein Filmbild, auf die Szene projiziert, grau und undeutlich. Alle Kraft schien aus ihm gewichen. Ich staunte, daß er sich noch bewegte. Er griff an den Pfeil, als wolle er ihn herausziehen, aber sogar ich sah, daß er so fest in ihm steckte wie seine Rippen. Fest und unbeweglich saß er in ihm und ragte vorn und hinten aus seinem Körper heraus. Er ergriff ihn mit beiden Händen, aber der Pfeil war stärker als er. Während ich ihn ansah, wurden seine Hände immer schwächer und erschlafften schließlich ganz. Er brach in die Knie, fiel dann zur Seite und zog die Beine an. Er wälzte sich hin und her, als hätte man ihn k.o. geschlagen, und gab dabei blasige, kratzige Laute von sich. Seine Lippen färbten sich dunkelrot, aber seine Zuckungen – die etwas unsagbar Komisches hatten – schienen ihm neue Kräfte zu verleihen.
    Er richtete sich auf einem Knie hoch, stand dann wieder unsicher auf den Beinen, während ich ihn mit angelegtem Gewehr erwartete. Er machte ein paar schwankende Schritte auf die Bäume zu, schien es sich dann anders zu überlegen und kam taumelnd und lauernd wie in einem Kriegstanz auf mich zu. Er reckte mir eine Hand entgegen wie ein Prophet. Ich

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