Flußfahrt
Nervosität, wenn der Bogen voll gespannt war, der Wunsch, den Pfeil abgehen zu lassen und meinen Körper von der Anspannung, mit der ich den Bogen hielt, zu befreien, den Pfeil losschnellen zu lassen und es hinter mir zu haben. Ich fing an, in meinem Kopf die subtilen Vorbereitungen für einen guten Schuß zu treffen, und war mir die ganze Zeit im klaren darüber, daß selbst die perfekteste Technik nichts nützt, wenn man den richtigen Augenblick verpaßt. Die Finger der rechten Hand müssen gelöst und locker sein, vor allem aber darf der Arm mit dem Bogen nicht die geringste Bewegung machen.
Irgend etwas schien ihn zu verwundern. Immer wieder blickte er vom Fluß weg und auf den Boden zu seinen Füßen, auf den sandigen, mit Gestein durchsetzten Boden, und jedesmal, wenn er den Kopf neigte, entfernte sich sein Blick mehr vom Fluß und näherte sich etwas mehr der Stelle, über der ich mich befand. Ich schloß die Augen, pumpte meine Lungen ganz langsam mit Luft voll, hielt den Atem an und richtete zentimeterweise den Bogen aus. Als ich ihn ungefähr in der Position hatte, die mir richtig schien, konzentrierte ich mich auf meine Muskeln und spannte. Mein Rücken wurde breiter und schöpfte Kraft aus dem Baumstamm. Die Spitze des Pfeils glitt rückwärts und näherte sich der mit Kalbsleder bezogenen Bogenmitte. Dort vibrierte sie mit der ganzen unnatürlichen Spannung meines Körpers und einem Geräusch, das nur die Nerven in meiner linken Handfläche wahrnehmen konnten. Ich hielt den Schaft des Pfeils dicht an den Bogen und begann, alles im Bogen und im Pfeil und in meinen Händen und Armen und in meinem Körper genau zu überprüfen, wie bei einem Countdown. Der Mann stand leicht außerhalb meines drahtgesäumten Lochvisiers. Ich brauchte den Bogen nur leicht seitwärts zu bewegen, um ihn ins Visier zu bekommen. Damit war das Rechtslinks-Problem gelöst, es sei denn, ich zuckte beim Abschuß noch. Das Ziel befand sich genau in der von Martha mit orangefarbenem Draht umwickelten Öffnung in der Saite des Bogens. Also brauchte ich nur noch auf die Höhe zu achten, was bei einem Schuß nach unten immer das Hauptproblem ist. Und dann kam es auf den Augenblick des Loslassens an. Die Spitze des Pfeils schien, während ich den Mann im Auge hatte, ungefähr fünfzehn Zentimeter unterhalb seiner Füße zu liegen, und ich brachte sie noch etwa zwei Zentimeter tiefer, bis es, soweit ich beurteilen konnte, aussah, als versuchte ich, ihn in den Bauch zu treffen. Während ich durch das Lochvisier den Schaft des Pfeils entlang und durch den grünen Nadeltunnel äugte, hatte ich den Eindruck, der Pfeil käme jetzt in eine Gerade, die den Mann genau in der Mitte treffen mußte. Wir waren zusammengefügt, und das Gefühl einer sonderbaren Intimität nahm zu, denn er war gefangen in einem Rahmen innerhalb eines anderen Rahmens, und beide waren mein Werk – das Lochvisier und die Nadelröhre. Und da wußte ich, daß ich ihn hatte, wenn meine rechte Hand entspannte und den Pfeil abgehen ließ und wenn mein linker Arm sich nicht bewegte, sondern nur den leichten Rückstoß des vibrierenden Bogens auffing. Es war alles in Ordnung; es hätte nicht besser sein können. Meine Position war gut und fest, und die breite Spitze schien so ruhig und gelassen wie ein Felsen. Ich war ganz erfüllt von der verwandelnden Kraft des voll gespannten Bogens, von der Aufregung des Spannens, die vielen Bogenschützen zum Verhängnis wird, aber denen zum Vorteil, die sie zu beherrschen wissen. Ich war fast am Ende meines Countdowns angelangt, und der Mann stand noch immer an der gleichen Stelle: leicht vorgeneigt, aber mir etwas mehr zugewandt als vorher.
Jetzt machte er eine leichte, rasche Bewegung, und mit aller Kraft vermochte ich eben noch den Pfeil zurückzuhalten. Er scharrte einmal mit dem Fuß über die Erde, und da sah ich sein Gesicht – sah, daß er tatsächlich ein Gesicht hatte – zum erstenmal.
Die ganze sorgfältige Anlage meines Schusses drohte auseinanderzufallen, und ich kämpfte mit meinen Muskeln und Eingeweiden und mit dem Herzen, um sie zusammenzuhalten. Seine Augen glitten immer schneller über den Sand und die Felsen. Sie kamen näher und näher. Sie hoben sich vom Boden und lösten den Schuß aus.
Ich sah den Pfeil nicht durch die Luft sausen, und ich glaube auch nicht, daß er ihn sah. Bestimmt aber mußte er das Schnellen der Sehne gehört haben. Ich hatte so lange in angespannter Haltung verharrt, daß ich noch in dem
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