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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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auf keinen Fall untersuchen lassen. Wir können es nicht mit Sicherheit sagen, aber andere könnten es, und wenn wir erklären müßten, weshalb einer von uns eine Schußwunde hat, dann käme die ganze Sache heraus.«
    »Rauskommen? Wie kommen wir bloß heraus? Ich sehe nicht, wie. Wirklich nicht.«
    »Jetzt sind wir schon fast heraus«, sagte ich. »Aber was sollen wir mit Drew machen?«
    »Wir müssen ihn hier im Fluß versenken«, sagte ich. »Für immer.«
    »Mein Gott. O mein Gott.«
    »Hör zu. Es ist genauso, wie ich gerade gesagt habe. Genauso. Wir können uns einfach nicht leisten, daß ihn jemand untersucht, der von diesen Sachen etwas versteht. Wenn wir ohne ihn zurückfahren, haben wir eben furchtbares Pech gehabt . Schließlich sind wir sowieso nur beschissene Amateure. Und da sollen sie uns erst mal das Gegenteil beweisen! Wir sind hierhergekommen, um flußabwärts zu paddeln, ohne zu wissen, in was wir uns ein ließen, und das ist sogar die Wahrheit. Eine Zeitlang ging alles gut, aber dann sind wir gekentert. Wir haben das andere Boot verloren. Lewis hat sich in der Stromschnelle ein Bein gebrochen, und Drew ist ertrunken. Das wird uns jeder glauben. Aber wir können nicht einfach sagen, daß einer von uns erschossen wurde.«
    »Wenn er erschossen wurde.«
    »Ganz richtig, wenn er erschossen wurde.«
    Ein schwacher Glanz trat in Bobbys Augen, und dann erstarb er wieder. »Aber das nimmt ja kein Ende«, sagte er. »Kein Ende.«
    »Doch!« sagte ich. »Dies ist das Ende. Dies ist alles, was wir zu tun haben, aber wir müssen es richtig tun. Davon hängt alles ab. Die ganze Geschichte.«
    Ich griff in meine Beintasche und holte die Ersatzsehne für den Bogen heraus. Ich band sie um einen ziemlich großen Fels brocken und dann um Drews Gürtel. Mit einfachen Knoten. Wir wälzten den Felsbrocken ins Boot, und ich nahm Drews Körper, der immer noch in der Schwimmweste steckte, und legte ihn zurück in den Fluß, schob ihn vor mir her flußabwärts durch die Stromschnellen, stieß und trieb ihn vorsichtig weiter. Als das Wasser wieder tiefer wurde, stieg Bobby ins Boot und ergriff das Paddel. Ich ließ mit Drew die kleinen Stromschnellen hinter mir, und in meiner Rettungsweste glitt ich schneller voran. Ich sah auf Drews Hand, die mit der Handfläche nach oben trieb, und sah die Schwielen, die vom Gitarrespielen herrührten und jetzt ganz weiß waren. Der College-Ring steckte noch am Finger; ich fragte mich, ob seine Frau den Ring wohl gern haben würde. Aber nein, nicht einmal das durfte ich tun, ich hätte sonst wieder Erklärungen abgeben müssen. Ich berührte die kleine Schwiele auf dem Mittelfinger seiner linken Hand, und meine Augen wurden blind vor Tränen. Einen Augenblick lang hielt ich ihn weinend in meinen Armen und trieb mit ihm dahin. Ich hätte bis in alle Ewigkeit so weinen können, aber dafür war jetzt keine Zeit.
    »Du warst der Beste von uns, Drew«, sagte ich – laut genug, daß Bobby es hören mußte. Ich wollte, daß er es hörte. »Der einzig Anständige von uns. Der einzig Normale.«
    Ich machte seine Schwimmweste los und ließ ihn unter mir wegsinken. Bobby kniete neben Lewis im Kanu und warf den großen Stein über Bord. Der eine Fuß Drews kippte nach oben und berührte meine Wade; wir waren nun frei – wir waren frei und in der Hölle. Ich blieb im Wasser hinter dem Kanu und hielt die Schwimmweste in der einen Hand. Schwerelos trieb ich dahin, die Beine schmerzten mich mehr als vorher. Ich wollte schlafen, versinken, nicht mehr atmen müssen. Ich lag im Strom und bewegte mich mit ihm fort, mit all den Albträumen und den Ängsten, die mir noch bevorstanden. Als wir wieder an eine flache Stelle kamen, richtete ich mich auf dem Flußkies mühsam auf und zog mich auf den hinteren Bootssitz; die Sonne schien mir heiß, feucht und schwer auf Schultern und Rücken, so als läge sie in Schichten darauf. Eine Zeitlang nahm ich außer meiner Erschöpfung und der Hitze nichts wahr. Zwischen Bobby und mir tanzte eine Wolke summender Insekten über dem Kanu, und ich war nicht ganz sicher, ob sie sich nicht in meinem Kopf befand. Die Felswände zu beiden Seiten des Flusses fielen stetig ab. Ein paar Kilometer weiter hörten die Klippen am rechten Ufer ganz auf, und auf der anderen Seite sah man nur noch einen niedrigen Felswall, der schräg zum Fluß hin abfiel, und schließlich waren wir wieder auf gleicher Höhe mit dem Wald. Ich wußte, daß ich die Entfernung unterschätzt hatte, denn es

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