Flusskrebse: Roman (German Edition)
ihm die Menüvorschläge von vier Cateringfirmen auf den Tisch gelegt. Wenn ich ihn gebeten habe, dass er sie sich anschaut, hat er mich angeschnauzt, dass er jetzt Wichtigeres zu tun hat. Drei Tage vorher kommt er dann drauf, dass er ein georgisches Menü haben will, weil er irgendwo was über georgische Trinksprüche gelesen hat, dass die so originell sind. Ob ich ihm nicht so einen georgischen Master of Ceremonies auftreiben kann, einen Tamada. Ich hab ihn daran erinnert, dass wir zwei Russen auf der Gästeliste haben, aber er: Na und, wenn er in Moskau ist, wird er immer in irgendwelche georgischen Lokale eingeladen, die Russen mögen das georgische Essen. Wieviele georgische Lokale gibt es in Wien? Zwei, davon ist eines in Wirklichkeit russisch. Im zweiten haben sie gesagt, ein Menü können sie zur Not noch zaubern aber einen Tamada haben sie nicht. Ich hab sie angefleht, sich zu erkundigen, es gibt doch sicher eine georgische Community in Wien, da wird doch jemand darunter sein, der so was kann. Ich hab extra darüber nachgelesen, das ist ja kein Beruf, sondern da wird bei so einem georgischen Bankett einer von den Gästen, der besonders redegewandt ist, dazu ausgewählt. Der leitet dann das Fest und bestimmt, wann getrunken wird und wer wann welchen Trinkspruch ausbringt. Na ja, sagen sie, aber das ist halt so eine nationale Angelegenheit, da wird immer auf die georgische Heimat getrunken und so weiter, das würde keiner machen, wenn das nicht ein georgisches Fest ist. Ich hab dann ein Übersetzungsbüro gefunden, die haben gesagt, sie haben da einen jungen Mann, der hat so was schon mal für Österreicher gemacht. Na gut, ich präsentiere stolz mein Menü und meinen Tamada, und er, nein, das geht nicht, er hat sich erkundigt, das ist so eine nationalistische Angelegenheit und wir haben doch Russen auf der Gästeliste und die haben doch gerade Krieg gehabt mit Georgien. Dann hat es Räucherlachs und Wachteln gegeben wie immer.“
Veras Bekannte erwiesen sich als recht sympathische Menschen, mit denen es sich bei Bier und Backhendelsalat mit Kernöl angenehm plaudern ließ. Die beiden betrieben gemeinsam eine Kunstgalerie. Seltsam, dachte Mautner, dass man immer wissen muss, womit ein Mensch sein Brot verdient, um ihn einordnen zu können. Hugo und Magda Reiter, Kunsthändler. Vera Bacher, Direktionsassistentin im Museum für Angewandte Kunst. Ari Mautner, Biologe im Umweltbundesamt. Vera hatte Magda im Taichi-Kurs kennengelernt. Wenn man von jemand wusste, dass er Taichi übte oder Geige spielte, dann fühlte man, dass man eine Facette seines Wesens kannte, ein Mosaiksteinchen zu seinem Charakter in der Hand hatte. Doch gab derjenige Konzerte oder unterrichtete asiatische Kampfkunst, dann dachte man: Ah, ein Geiger, ein Taichilehrer, man hatte ein scheinbar vollständiges Bild vor Augen und meinte die Person einordnen und einschätzen zu können.
Da sie am Morgen früh losgehen wollten, brachen sie nach dem Essen bald auf und spazierten zu ihrer Pension, als es gerade erst dämmerte.
Am nächsten Tag tat es Mautner ein wenig leid, dass er nicht mit Vera allein war. Der sonnige Morgen ließ ihn sich frisch und jugendlich fühlen und er hätte gerne einen verliebten Tag mit ihr verbracht. Er erinnerte sich an einen ähnlich sonnigen, lang zurückliegenden Tag. Sie waren auf einen nicht sehr hohen Berg in der Schweiz gewandert, an dem gar nichts Besonderes war und der deshalb kaum Wanderer anzog. Um die Mittagszeit auf dem Gipfel waren sie im Gras auf einer Decke in der warmen Sonne gelegen, ganz alleine unter dem Himmel, und hatten miteinander geschlafen. Den Segelflieger hatten sie erst bemerkt, als er schon so nahe war, dass sie das Gesicht des Piloten erkennen konnten, der ihnen grinsend zuwinkte.
Mautner erzählte die Geschichte und Vera boxte ihn dafür kräftig in die Seite.
Den Gipfelsieg feierten sie mit einem Schluck aus Hugo Reiters Schnapsflasche. Mautner hatte die Gruppe überredet, nicht den höchsten Berg der Gebirgsgruppe zu ihrem Ziel zu machen, sondern den zweithöchsten, und so genossen sie den Ausblick auf eine scheinbar von Menschen unberührte Bergwelt ungestört von anderen, die so wie sie die Bergeinsamkeit störten, indem sie sie suchten.
Als sie am Nachmittag an einem Bach rasteten, zog sich Mautner die Schuhe aus, und während die anderen harte Eier, Käse und Tomaten verzehrten, watete er bachaufwärts, die Hosen aufgekrempelt, stöberte unter Steinen und überhängenden Ästen,
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