Flusskrebse: Roman (German Edition)
Frieden. Wen Nkunda beschützt, wissen wir nicht, aber die Hutu sind noch immer im Land. Wir sollten fortgehen von hier.’
Ich hatte von jungen Männern gehört, die nach Europa gegangen waren und dort Erfolg gehabt hatten. ‚Unser Sohn ist in England’, sagten die Leute, oder: ‚in Spanien’ oder: ‚in Italien’. ‚Er hat geschrieben, dass er uns bald Geld schicken wird!’ Manche schickten auch wirklich Geld. Ich sagte: ‚Gehen wir nach Europa!’
Meine Geschwister waren schockiert, aber der Mann meiner Tante unterstützte mich und sagte, das sei das Richtige. ‚Afrika hat keine Zukunft’, sagte er. ‚Afrika ist ein verlorener Kontinent..’
Die einzige Möglichkeit, die Reise nach Europa bezahlen zu können, war, unser Land zu verkaufen. Der Mann meiner Tante übergab mir alle Papiere, die mein Vater hinterlassen hatte. Ich fand einen Käufer für unser Land, einen Mann vom Stamm der BaFuliro. Er sagte, unser Besitzanspruch sei unsicher, weil wir als Ausländer galten und nur Kongolesen Land besitzen konnten. Er sagte, er müsse sehr hohe Bestechungsgelder zahlen, damit unsere Besitzurkunde anerkannt würde und wir das Land verkaufen konnten. In Wirklichkeit hatte er einen Beamten im Grundbuchamt bestochen, dass er unsere Besitzurkunde anzweifelte. Er bot mir 10.000 Dollar. Da sagte ich, nein, für diese Summe gebe ich das Land nicht her, wo schon mein Urgroßvater Rinder gezüchtet hat. Da drohte er mir, er würde beweisen, dass dieses Land gar nicht uns gehörte, dass wir es von den BaFuliro gestohlen hätten. Er sagte, wir würden das Land verlieren ohne einen Cent dafür zu bekommen. Schließlich musste ich 12.000 Dollar akzeptieren. Ich dachte, das würde vielleicht genug sein für uns drei. Ich wusste schon, dass man nicht einfach ein Flugticket nach London kaufen konnte, aber ich wusste nicht genau, wieviel man zahlen musste, um illegal nach Europa zu kommen. Ich fragte herum und fand einen Mann in Bukavu, der 5.000 Dollar pro Person verlangte. Meine Geschwister sagten, ich solle alleine fahren und sie später nachholen. Ich sollte das restliche Geld mitnehmen und damit in Europa ein Geschäft aufmachen. So hatten wir uns das vorgestellt.
Die Schlepper brachten mich in die Republik Kongo und dann nach Gabun. Dort brachten sie mich auf ein Boot. Es war, glaube ich, ein Fischerboot, und wir waren 60 Leute. Wir waren drei Wochen unterwegs und es gab viel zu wenig Wasser und Essen. Auf Deck und unter Deck war alles vollgekotzt, weil die Leute seekrank waren. Ich war auch seekrank. Nach drei Wochen wurden wir bei Nacht in kleinen Booten an Land gebracht. Man sagte uns, dass das Land Dänemark hieß. Wir sollten einen Polizisten suchen und ‚Asyl’ sagen, dann würde man uns weiterhelfen. Ich wollte aber nicht in Dänemark bleiben. Ich wollte nach Frankreich oder nach England, weil ich dort die Sprache verstehen würde. Ich fuhr in die Hauptstadt und suchte nach Landsleuten, um mich mit ihnen zu beraten. Sie sagten mir, dass ich nach England nicht kommen konnte, ohne eine Grenzkontrolle zu passieren. Also beschloss ich, nach Frankreich zu fahren. Aber unterwegs traf ich Leute, die sagten, dass es in Frankreich sehr schwer sei, Asyl zu bekommen. Sie rieten mir, nach Österreich zu fahren. So bin ich hergekommen.“
„Und Sie sind jetzt schon fünf Jahre hier?“
„Bald sind es fünf Jahre, ja. Zuerst war ich in dem großen Lager. Über ein Jahr war ich dort. Dann auf dem Dorf in einer Pension. Dann in einer anderen Pension. Ich habe gewartet. Ich habe nicht mehr gewusst, worauf ich warte. Es war wieder wie in dem Lager im Kongo, nur dass ich genug zu essen hatte. Die Tage waren alle gleich, sie vergingen, ohne dass sie eine Spur hinterließen. Ihr Land hat eine großartige Kultur, habe ich gehört. Es gibt hier großartige Musik, großartige Literatur. Doch ich habe keinen Anteil daran. Die Jahreszeiten gingen an mir vorüber, ohne dass ich sie zur Kenntnis nahm. Als Kind habe ich mir so gern den Frühling vorgestellt, wie ihn Shakespeare beschreibt:
Wenn Primeln gelb und Veilchen blau und Maßlieb silberweiß im Grün,
und Kuckucksblumen rings die Au mit zartem Farbenschmelz durchblüh’n...
Jetzt war mir das alles gleichgültig. Manchmal wurde ich zu den Behörden vorgeladen, dann musste ich meine Geschichte erzählen, Fragen beantworten. Sie fragten, ob ich irgend einer oppositionellen Organisation angehöre, die verfolgt wird. Nein, sagte ich, ich bin MuMulenge, das genügt, um getötet
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